THINK Blog DACH
Der “International Day of Women and Girls in Science“ würdigt auch 2022, wie jedes Jahr am 11. Februar, die Rolle von Frauen und Mädchen in den MINT (Mathematik, Informatik,...
Der “International Day of Women and Girls in Science“ würdigt auch 2022, wie jedes Jahr am 11. Februar, die Rolle von Frauen und Mädchen in den MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) Fächern. 2015 von der UNESCO initiiert, macht der Tag darauf aufmerksam, dass Frauen in den Wissenschaften immer noch unterrepräsentiert sind.
Dass eine Karriere im naturwissenschaftlichen Umfeld spannend und erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel von Dr. Sieglinde Pfaendler, IBM Quantum Researchers Programs Global Lead. Sie arbeitet bei IBM an der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Akademia und kümmert sich um den Aufbau von Netzwerken und Kollaborationen zwischen Forscher_innen im Bereich Quantum Computing. Im Interview erzählt sie über ihren persönlichen Weg in die Wissenschaft, was sie antreibt und wo sie Potentiale sieht, mehr Frauen und Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern.
Frau Pfaendler, Sie sind promovierte Physikerin. Warum haben Sie sich für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden?
Von klein auf hatte ich Spaß an naturwissenschaftlichen Fragen und wollte immer Zusammenhänge verstehen und Rätsel lösen. Diese natürliche Neugier und die Frage nach dem Warum hat mich einfach interessiert. Meine Familie hat mich dabei von Anfang an unterstützt. Zudem hatte ich das große Glück, dass ich in der Schule spannende Erfahrungen machen konnte, wo die Lehrer_innen den Unterricht durch Rätsel und Live-Experimente zum Vergnügen machten. In meinen naturwissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kursen wurde mir klar, dass wissenschaftliche Untersuchungen ein Werkzeug sind, um echte Werte zu schaffen und faszinierende Möglichkeiten zu erschließen. Die Entscheidung für ein Physikstudium war für mich damit klar.
Wie ging es nach dem Studium beruflich für Sie weiter?
Mein Grundstudium in England hat mir die Motivation für den nächsten Schritt ermöglicht. Es ist einfach faszinierend zu begreifen, wie oft Elektronen bei verschiedenen grundlegenden Vorgängen in der Chemie, Biologie und Physik eine Schlüsselrolle spielen. Es gibt sehr viel Neues zu entdecken. Deshalb habe ich mich während meiner Promotion auf deren Untersuchung konzentriert, um mögliche Bausteine für einen Quantencomputer zu entwickeln.
Die nächste Phase wurde stark von der Beobachtung beeinflusst, dass viele wertvolle Erkenntnisse nie den Weg in die Technologie finden und dadurch unsere Gesellschaft nicht weiterbringen. Daher habe ich mich an der Universität Cambridge im Bereich Innovationsmanagement weitergebildet und diese neuen Erkenntnisse in meiner Arbeit als Wissenschaftlerin in Projekten zwischen Akademia und Industrie angewendet. Im November 2020 bin ich dann zu IBM gekommen.
Was genau machen Sie bei IBM und was fasziniert Sie an Quantencomputing?
Bei IBM arbeite ich an zwei wichtigen Aspekten: Zum einen an der Beschleunigung der Entwicklung neuer wissenschaftlicher Technologien, um den Quantenvorteil schneller zu erreichen, zum anderen unterstütze ich Wissenschaftler_innen in Forschung und Lehre, diese neue Technologie zu nutzen und ein Ökosystem aufzubauen.
Diese Position ist wie maßgeschneidert für mich. Meine bisherigen Erfahrungen in der Forschung auf dem Gebiet der Quantentechnologien, in der akademischen Welt und in der Industrie helfen mir, auf technischer Ebene Kontakte zu Akademiker_innen in Europa zu knüpfen und haben mich darauf vorbereitet, wie ich mit Regierungen, Fördereinrichtungen, Wissenschaftler_innen und Unternehmen zusammenarbeiten kann. Dass ich in einem mehrsprachigen Umfeld aufgewachsen bin, ist ein großer Vorteil für diese internationale Zusammenarbeit.
IBM hat schon immer viel in Forschung investiert – weltweit, aber insbesondere auch in Europa. Bei einem Unternehmen zu arbeiten, dessen Mitarbeiter_innen mit mehreren Nobelpreisen ausgezeichnet wurden, hat mich sehr motiviert.
The IBM Quantum State of the Union
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
Mein Tag besteht aus einer Mischung geplanter Meetings mit Kolleg_innen aus verschiedenen Bereichen innerhalb des Unternehmens, spontanen Anfragen zur Unterstützung von Forscher_innen und insbesondere kreativer Arbeitszeit. Dabei untersuche ich die Bedürfnisse von Akademiker_innen in Europa, analysiere den aktuellen Stand und die Forschungstrends rund um Quantencomputer und entwickle neue Initiativen.
Derzeit leite ich ein Projekt zur Überarbeitung unseres “IBM Quantum Researchers Program” und finde heraus, wie mehr Forscher_innen ihre bahnbrechende Arbeit durch IBM Quantencomputer beschleunigen können.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass immer noch so wenig Mädchen und Frauen sich für eine Karriere im naturwissenschaftlichen Umfeld entscheiden? Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?
Es gibt mehrere Studien zu diesem Thema. Sie zeigen, dass die Zahlen in bestimmten Wissenschaften, wie zum Beispiel der Physik, niedrig sind und in Fächern wie Biologie etwas besser aussehen. Sie stimmen auch darin überein, dass die Faktoren, die dazu beitragen, komplex sind.
Meiner Beobachtung nach variieren die Hauptgründe zwischen den Ländern, aber nicht unbedingt so, wie man es stereotypisch erwarten würde. Ich habe unter anderem einige Jahre in Indien gelebt und gearbeitet. Dort beispielsweise promovieren recht viele Frauen, die jedoch während ihres letzten Jahres unter enormem Druck standen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Bei den multinationalen Unternehmen, insbesondere in der Softwarebranche, ist das Geschlechterverhältnis in den Führungspositionen in Indien jedoch ausgewogener als in Deutschland. Einige Gründe dafür sind flexiblere Arbeitszeiten und erschwinglichere Haushaltshilfen und Kinderbetreuung.
Ein großes Hindernis sind die unbewussten Vorurteile. Dies wurde durch die berühmte “Jennifer und John”-Studie verdeutlicht, bei der derselbe Lebenslauf mit einem anderen Namen verschickt wurde. Der Lebenslauf mit dem weiblichen Namen wurde seltener ausgewählt, unabhängig davon, ob eine Frau oder ein Mann ihn vorliegen hatte. Um dieses Problem anzugehen, müssen wir uns selbst daran erinnern, wenn wir Entscheidungen treffen, und Wege finden, es zu kompensieren.
Zum Beispiel muss man ein System schaffen, das wissenschaftlich erfolgreiche Frauen nicht benachteiligt, wenn sie aufgrund familiärer Umstände ihren „Publication Track Record“ nicht aufrechthalten können: ihre wissenschaftliche Exzellenz geht dadurch ja nicht verloren.
Was ist spannender – eine Karriere in der Wissenschaft oder der Wirtschaft?
Für mich sind es beide. Man hat mir immer wieder gesagt, ich müsse mich zwischen beidem entscheiden. Ich habe jedoch das Gefühl, dass meine Rolle es mir ermöglicht, diese sehr unterschiedlichen Welten zu verbinden.
Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Ich experimentiere mit neuen kulinarischen Rezepten aus aller Welt und genieße es, mit Freunden und Familie spazieren zu gehen, zu malen und seit kurzem lerne ich auch Klavier spielen.
Welchen Rat würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, die überlegen ein naturwissenschaftliches oder technisches Fach zu studieren?
Verfolgt eure wissenschaftlichen Träume und lasst euch nicht entmutigen. Glaubt an eure Stärken und versucht diese kontinuierlich zu verbessern – dann könnt ihr in euren jeweiligen Bereichen eine führende Rolle übernehmen.