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Human Friendly Automation: Die Maxime der nächsten Dekade
By | Senior Change Consultant for AI
October 04, 2022

Martin Födisch, Referent für Digital Change bei der Bundesagentur für Arbeit und Experte im branchenübergreifenden Human Friendly Automation (HFA)-Netzwerk und Dr. Lars Schatilow, Lead...

Martin Födisch, Referent für Digital Change bei der Bundesagentur für Arbeit und Experte im branchenübergreifenden Human Friendly Automation (HFA)-Netzwerk und Dr. Lars Schatilow, Lead Enterprise Change & Transformation und Initiator des HFA Netzwerks bei IBM erklären im Interview, warum das Thema in den öffentlichen Diskurs gehört und wie Unternehmen und ihre Mitarbeitenden von der HFA profitieren können.

Sophia Greulich: Martin, seit zwei Jahren engagierst du dich im branchenübergreifenden Netzwerk „Human Friendly Automation“. Warum ist das Thema für dich persönlich wichtig?

Martin Födisch: Das ist ganz einfach: Das Thema ist mir ein Herzensanliegen. An Automatisierung wird kein Weg vorbei gehen. Nach der Dekade der Digitalisierung muss sich jetzt die Dekade der Automatisierung anschließen. Hierbei geht es aber nicht nur um die Frage, wie Prozesse optimiert, Prozessschritte automatisiert und somit Effizienzgewinne realisiert werden können. Automatisierung kann nur mit den Menschen, also den Beschäftigten und von Automatisierung betroffenen, umgesetzt werden. Es geht nicht um die Frage Maschienen statt Menschen, sondern darum, dass Maschienen die Kompetenzen der Mitarbeitenden erweitern.

Lars, du hast vor drei Jahren Human Friendly Automation in unser Team bei IBM gebracht und das Netzwerk gegründet. Was hat dich dazu bewegt und was verstehst du genau unter HFA?

Lars Schatilow: Die Entwicklungen der Industrie 1.0 bis 3.0 wurden stets unter dem technischen Fortschritt betrachtet. Ich selbst habe auf politischer Ebene die Entwicklung der Industrie 4.0 in der Nationalen Akademie der Technikwissenschaften mitgestalten dürfen. Es war damals sehr schwer, Gehör für die Belange der Menschen zu erhalten.

Human Friendly Automation ist allerdings eine enorm wichtige Chance und sollte eine Handlungsmaxime für jede Führungskraft sein: Die Ära der intelligenten Automatisierung kann so gestaltet werden, dass Menschen weiterhin würdevolle und wertstiftende Arbeit leisten können. In diesem Sinne ist es mir ebenfalls eine Herzensangelegenheit, die mein Team bei IBM mit mir teilt und lebt.

Das Netzwerk macht die HFA mit vielen Aktivitäten bekannter. Unter anderem wart ihr auf der re:publica und Labor.A vertreten, findet Erwähnungen in Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung und dem Handelsblatt, macht regelmäßig Meetups und habt eine starke Community auf LinkedIn. Seht ihr denn schon Erfolge, durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit?

Martin Födisch: Die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und damit das Bewusstsein für dieses wichtige Thema im Kontext der Automatisierung ist bereits ein großer Erfolg. Unternehmen, Behörden und die interessierte Öffentlichkeit werden für das Thema sensibilisiert und besprechen es offen. Durch die Diskussionen werden wir als Gesellschaft insgesamt bessere Automatisierungslösungen (individuell nach Unternehmen und Branche) finden. Genau das ist ein Ziel unseres Netzwerkes.

In 2021 konnte – trotz Pandemie – der erste Human Friendly Automation Day stattfinden. IBM hat als „Founding Sponsor“ die Veranstaltung unterstützt und im Watson Center Munich ausgerichtet. Über 400 Gäste nahmen virtuell und physisch teil. Dieses Jahr kann der 2. HFA Day bei der Bundesagentur für Arbeit stattfinden. Warum braucht es das Event überhaupt?

Lars Schatilow: Wie Martin Födisch sagt, braucht es den öffentlichen Diskurs über eines der wichtigsten Themen dieses Jahrhunderts: Die sozial-verantwortliche Ausgestaltung einer Ökonomie, die durch künstliche Intelligenz ein noch nie da gewesenes Automatisierungspotenzial zu heben vermag.

Es reicht nicht, einen oder zwei Kunden bei der Umsetzung von HFA zu beraten. Wir müssen vielmehr eine Kultur der Erinnerung schaffen, in der sich möglichst viele ihrer Verantwortung und der Relevanz einer Selbstverpflichtung jährlich gewahr werden: Intelligente Automatisierung zum Wohl der Beschäftigten und niemals gegen sie. Der Human Friendly Automation Day ist daher nicht nur ein nettes Zusammentreffen von Experten, sondern ein symbolreiches, wiederkehrendes und lautes Bekenntnis von Individuen und Organisationen.

“Wir hoffen, dass wir durch die Ausrichtung des 2. HFA-Day ein gutes Zeichen auch an andere Organisationen richten können.”

Martin Födisch, Bundesagentur für Arbeit

Martin, du bist bei der Bundesagentur der Arbeit (BA) seit der ersten Stunde ein Treiber von HFA, gemeinsam mit eurem CIO und CEO des IT Systemhauses. Die neue Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hat die Schirmherrschaft für den 2. HFA Day übernommen. Warum habt ihr euch dafür entschieden? Seht ihr durch die Positionierung des HFA Days bei der BA einen besonderen Effekt? Welche Wirkung erwartet ihr?

Martin Födisch: Als Bundesagentur für Arbeit bringen wir Menschen und Arbeit zusammen. Insofern denke ich, dass wir eine besondere Verantwortung für Automatisierung in unserer Organisation haben und als Vorbild voran gehen sollten. Wir hoffen, dass wir durch die Ausrichtung des 2. HFA-Day ein gutes Zeichen auch an andere Organisationen richten können.

Gibt es bei der BA bereits HFA-Projekte? Falls ja, kannst du mit uns ein paar Erkenntnisse teilen?

Martin Födisch: Die gibt es tatsächlich. Wir erstellen gerade ein Proof of Concept (PoC) zum Thema der Mailautomatisierung. Hier verproben wir auch HFA und haben die betroffenen Mitarbeitenden bewusst eingebunden, um deren Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen abbilden zu können. Die ersten Erkenntnisse stimmen uns positiv, dass wir hier den richtigen Weg eingeschlagen haben. Die von Automatisierung berührten Beschäftigtengruppen fühlen sich wertgeschätzt. Das Gefühl, „alles dreht sich um den technischen Projekterfolg, aber niemand kümmert sich ernsthaft um die berufliche Zukunft des Mitarbeitenden“, konnte erfolgreich verhindert werden. Ebenso konnten wir so früh mögliche Interessen identifizieren, denen die Beschäftigten verstärkt nachgehen wollen, wenn Technik Teile ihrer Arbeit in einem hohen Maße übernimmt. Das sind sehr wertvolle Erkenntnisse, die wir der Personalentwicklung mitteilen können. Auf diese Weise können neue Einsatzmöglichkeiten und Qualifizierungsangebote erfolgreich gestaltet und angeboten werden. Insgesamt hat sich der Implementierungsprozess grundlegend verändert: HFA erfordert ein interdisziplinäres Miteinander von Beginn an: Die IT achtet auf die Bedürnisse der Beschäftigten mehr denn je. Das Change Management ist bei jedem Projektschritt involviert und kann sofort agieren, falls Menschen betroffen sind.

“Die Skalierung von intelligenten Automatisierungstechnologien gelingt im privaten wie öffentlichen Sektor nur dann, wenn die Zukunft der Beschäftigten und ihr Weg dorthin klar sind.”

Lars Schatilow, IBM

HFA ist ja nicht sicherlich nicht nur ein Thema im öffentlichen Sektor. Warum ist es auch in der Privatwirtschaft wichtig, die Implementierung von intelligenter Automatisierung „human friendly“ anzugehen?

Lars Schatilow: Alle sind gefordert. Denn alle Organisationen sehen sich mit dem Fachkräftemangel und Mitarbeiterschwund konfrontiert. Intelligente Automatisierung ist daher zwingend erforderlich. Doch genau so erforderlich ist die frühzeitige, stärken-basierte Qualifizierung der Beschäftigten. Denn Automatisierung berührt die berufliche Identifikation mehr denn je. Was bringt es schon, wenn Kollege Roboter kommt, aber die Mitarbeitenden melden sich reihenweise krank oder verlassen die Organisation, weil ihnen die neuen Aufgaben nicht gefallen oder sie dafür nicht ausreichend qualifiziert wurden?

Die Skalierung von intelligenten Automatisierungstechnologien gelingt im privaten wie öffentlichen Sektor nur dann, wenn die Zukunft der Beschäftigten und ihr Weg dorthin klar sind. Human Friendly Automation leistet genau das. Ich bin froh, dass mein Arbeitgeber IBM das voll und ganz unterstützt.

Martin, zum Abschluss möchte ich dich fragen: Was ist deine Einschätzung: Werden wir in 2030 überhaupt noch Automatisierungsprojekte sehen, die nicht „human friendly“ (im Sinne der HFA-Werte-Charta) sind?

Martin Födisch: Ich hoffe, dass wir in acht Jahren soweit sind, dass es keine Frage mehr ist, ob man Automatisierungsprojekte „human friendly“ umsetzt. Ich hoffe, dass dies ein fester Bestandteil von Automatisierungsprojekten ist und von Beginn an mitgedacht wird. Mein Idealzustand wäre, dass „human friendly automation“ ein für alle bekannter Begriff ist, so wie wir heute bereits „Nachhaltigkeit“ stets mitdenken.

Ich danke euch für das Gespräch.

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