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Mit der gesetzlich verankerten Einführung der elektronischen Akte (eAkte) bis zum Jahr 2026 schien die Wegstrecke der Digitalisierung in der Justiz lange Zeit klar. Jetzt hat die Pandemie...
Mit der gesetzlich verankerten Einführung der elektronischen Akte (eAkte) bis zum Jahr 2026 schien die Wegstrecke der Digitalisierung in der Justiz lange Zeit klar. Jetzt hat die Pandemie deutlich vor Augen geführt, dass nach wie vor für Gerichte an vielen Stellen dringender Handlungsbedarf besteht. „Die Justiz läuft Gefahr, den Anschluss in einer digitalen Gesellschaft zu verlieren“, so eine Kernaussage einer deutschlandweiten Führungskräftebefragung mit hochrangingen Persönlichkeiten aus der Richterschaft, die IBM im ersten Halbjahr diesen Jahres in der Tradition der globalen IBM C-Level-Studien befragt hat.
Die Justiz bekommt den Sog der Digitalisierung verstärkt zu spüren. So gehen seit Jahren die Eingangszahlen im Zivilprozess zurück, weil Bürger_innen beispielsweise durch Angebote von digitalen Plattformen andere Wege zur Lösung von Streitigkeiten finden („Käufer-Schlichtungsprogramme“ wie zum Beispiel von Amazon). Im Ergebnis verlieren die Gerichte vermehrt die Nähe und den Kontakt zu den Bürger_innen.
Die Digitalisierung führt zudem auch zu einer Transformation des Rechtswesens, der sich der Justizapparat nicht mehr entziehen kann. Sogenannte Legal-Tech-Anbieter nutzen Automatisierungsvorteile der Digitalisierung für neue Geschäftsmodelle, um unter anderem Verbraucherrechte vor Gericht geltend zu machen (z. B. Fluggastrechte). Dadurch entstehen Massenverfahren, die einen immensen Arbeitsdruck in den Gerichten auslösen: „Man sieht sich tausenden, durch Computer erstellten Schriftsätzen gegenüber, während man in der Justiz an Verfahren festhält, die seit hundert Jahren gelten.“, so ein Teilnehmer der Studie. Dem könne man nur mit einer verstärkten Automatisierung der Schriftgutbearbeitung entgegentreten.
Die Corona-Pandemie hat den Digitalisierungsdruck deutlich erhöht. Die Notwendigkeit, in der Pandemie die Handlungsfähigkeit der Justiz aufrechtzuerhalten, führte vielerorts zu einem umfassenden Einsatz von Videokonferenzen. „Videokonferenzen wurden lange Zeit nur zögerlich angenommen. Durch die Pandemie ist dies nun fast schon ein Standardinstrument“, erklärt einer der Befragten. Auch für die Nutzung der eAkte innerhalb der Justiz gab es einen Schub – nicht zuletzt, um auch Arbeit mit nach Hause zu nehmen. „Die oftmals negative Einstellung zur eAkte ist wie weggeblasen und der Ruf nach der digitalen Akte nun sehr groß.“
Die Corona-Pandemie hat zudem deutlich gemacht: Eine digitale Kommunikation mit Bürger_innen findet praktisch nicht statt. Während Bürger_innen standardmäßig Kommunikationskanäle wie zum Beispiel WhatsApp und E-Mails nutzen, sind in der Außenkommunikation der Justiz E-Mails der Form halber immer noch nicht zugelassen. „Die Justiz wird im hohen Maße als altertümlich wahrgenommen.“, so eine Aussage eines Teilnehmers.
„Unsere Gesellschaft wächst digitaler auf. Sie erwartet, dass sich die Justiz anpasst.“ Die befragten Führungspersönlichkeiten bestätigen, dass ein hohes Ausmaß an Investitionen in Technologie und Fähigkeiten notwendig wird, um in den nächsten Jahren in den Kernbereichen der Digitalisierung Fortschritte zu erzielen und den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird dabei eine große Rolle spielen. Die Digitalisierung bringt der Justiz vor allem mehr Daten – allen voran durch die eAkte. KI wird helfen, diese Datenmengen und -inhalte zielgerichtet zu durchdringen und daraus einen Mehrwert zu generieren. So wird KI beispielsweise bei der Kategorisierung oder Durchdringung von Dokumenten vielfach als ein geeignetes Instrument gesehen, mit dem der Nutzen der eAkte besser vermitteln werden kann.
Die Gewinnung von Effizienzpotentialen konnte bereits in einem Pilotprojekt dargelegt werden. In Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht Frankfurt hat IBM für den Bereich der Fluggastrechtsklagen den Einsatz kognitiver Systeme erfolgreich testen und die Bearbeitungszeit bei der Urteilserstellung um bis zu 75 Prozent reduzieren können.
Um als Justiz in der digitalen Gesellschaft Schritt zu halten, haben auch die Investition in digitale Bürgerservices eine hohe Priorität. Dies beginne mit einem modernen Bürgerportal, das nutzerzentriert Informationen zu Justizthemen und Ansprechpartnern anbietet. Chatbots für Erstkontakte werden als hilfreich angesehen, um Anliegen interaktiv zu konkretisieren oder alternative Hilfestellungen in der Justiz aufzuzeigen. Der elektronische Rechtsverkehr müsse dringend auf Bürger_innen ausgeweitet werden. Dies könne beispielsweise eine virtuelle Rechtsantragsstelle sein. Fest steht: Die Justiz muss nach außen hin besser werden. Die Digitalisierung innerhalb der Justiz voranzubringen, um die Arbeitseffizienz zu erhöhen und moderne Arbeitsplätze zu bieten, sei zwar sehr wichtig, aber so ein Befragter: „Es geht jetzt um die Frage, was können wir tun, was auch den Bürger_innen nutzt.“
Moderne digitale Werkzeuge benötigen eine IT-Infrastruktur, die den heutigen Anforderungen an Sicherheit, Flexibilität, Performance und Skalierungsfähigkeit gerecht wird. Ein großer Schritt der Digitalisierung der Justiz erfordert daher einen ebenso großen Modernisierungsschritt in Bezug auf die IT-Ausstattung der für die Justiz zuständigen Rechenzentren („Justiz-Cloud“). Eine auf modernen Cloud-Technologien basierende Infrastruktur kann mit der Nutzung performant skaliert werden. Sie liefert die Leistungsfähigkeit für den laufenden Roll-Out der eAkte genauso wie die Agilität für zukünftige KI-Projekte der Justiz.
Nimmt man zu den genannten Handlungsfeldern noch die Beseitigung des IT-Investitionsstaus der letzten Jahre in den mehr als tausend Gerichten in Deutschland hinzu, wird deutlich, dass ein solcher zusätzlicher Investitionsbedarf milliardenschwer ist. Die Justiz sollte daher im Schulterschluss zwischen Bund und Länder jetzt einen geeigneten Digitalpakt schnüren, der diese vordringlichen Investitionsbereiche adressiert.
Eine der zentralen Beobachtungen unserer Befragung ist: Der Digitalisierungsdruck ist greifbar und die Erkenntnis da, dass es jetzt um viel mehr geht als nur um die Einführung neuer Technologien. Daraus ergibt sich die Frage, wie man den Druck in positive Energie der Veränderung umwandeln kann. Unsere Studie zeigt dazu Handlungsempfehlungen in Form von zehn Schritten auf, welche die Justiz auf ihrem Digitalisierungspfad nach vorne bringen. Ganz nach unserem IBM Motto: „Let’s create!“ Lassen Sie uns gemeinsam an einem „Gericht im digitalen Zeitalter“ arbeiten.
Laden Sie hier das Whitepaper zur Studie kostenfrei herunter.
Kontakt:
Eckard Schindler
Direktor Öffentlicher Sektor, Global Government Industry
schindler@de.ibm.com