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KI-Studie über die Folgen für Arbeitnehmende und Arbeit
September 17, 2019

Chatbots, Voicebots, Cognitive Advisor, autonome Assistenzsysteme und Visual Recognition: Innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) verändern, was und wie Menschen arbeiten und...

Chatbots, Voicebots, Cognitive Advisor, autonome Assistenzsysteme und Visual Recognition: Innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) verändern, was und wie Menschen arbeiten und ermöglichen zunehmend selbststeuernde Prozesse. Obwohl die quantitativen Beschäftigungseffekte durch KI und Robotik bislang überschaubar sind – die qualitative Transformation von Arbeit ist schon heute fundamental, weitreichend und unumkehrbar. Aus dem Einsatz innovativer Technologien – KI steht hier stellvertretend im Vordergrund – folgt eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine, deren Auswirkungen längst nicht hinreichend erforscht sind. Welche Effekte hat der Einsatz von KI am Arbeitsplatz für Arbeitnehmer*innen und Arbeit? Wie wirkt sich KI auf die Arbeitsqualität und Erfahrung von Mitarbeitern aus – ist das, was bleibt, wenn KI kommt, gute Arbeit? Macht KI-Assistenz Menschen schneller und besser? Welche neuen Tätigkeiten entstehen, was fällt weg, und wie ändern sich Kompetenzprofile bestehender Jobs? Und: Welche Chancen, Perspektiven und Notwendigkeiten ergeben sich daraus?

Watson-KI-Studie

Die tatsächlichen Auswirkungen von KI untersuchen

Zu diesen Fragen haben IBM und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein gemeinsames Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, das von INPUT Consulting gGmbH (Stuttgart) und dem Research Centre for Education and the Labor Market (ROA) der Maastricht University durchgeführt wird. Während bisherige Studien oftmals makroökonomische Beschäftigungseffekte von KI und Robotik analysieren, untersucht das KI-Forschungsprojekt von Ver.di und IBM die tatsächlichen Auswirkungen des KI-Einsatzes direkt in betrieblichen Kontexten. Geforscht wird vor Ort bei und mit IBM Kunden, die Watson KI im Kundenservice und in der Personalsachbearbeitung einsetzen. Die Fallstudien im Rahmen des Projektes liefern Grundlagenforschung für eine proaktive und evidenzbasierte Gestaltung von Arbeitswelten und Business Cases der Zukunft. Eine Forschungslücke liegt in der Identifikation und Quantifizierung kausaler Effekte des KI-Einsatzes auf Performance und Arbeitsqualität, die durch randomisierte Feldexperimente und Vorher-Nachher-Vergleiche zu KI am Arbeitsplatz gemessen werden. Hierzu werden statistische Datenanalysen mit Interviews und Beschäftigtenbefragungen kombiniert. Die Forschungsdesigns für die einzelnen Fallstudien werden in co-kreativen Formaten gemeinsam mit den teilnehmenden Unternehmen und ihren Betriebsräten entwickelt und mit Konzernen aus Industrie und Telekommunikation umgesetzt.

Watson-KI-Studie-Grafik-Original

Der kognitive HR-Assistent CARL im Einsatz bei Siemens

Seit 2017 setzt Siemens den kognitiven HR-Assistenten CARL ein, einen Chatbot, der in absehbaren Zukunft zu fast allen Themen rund um HR und Personalwesen auskunftsfähig sein wird. CARL ist ein international angelegtes KI-Projekt, das aktuell pro Monat rund eine Million Interaktionen zwischen Menschen und Maschine verzeichnet. Im Rahmen einer Fallstudie wurden die Auswirkungen dieses KI-Einsatzes für HR-Experten und andere Beschäftigte untersucht, die am KI-Projekt beteiligt oder davon betroffen sind. Dies sind die zentralen Ergebnisse:

Menschengetriebene Technologie – nicht technologiegetriebene Menschen

Bislang hat keine Substitution menschlicher Arbeit durch den Einsatz von KI stattgefunden. Der Chatbot ist noch nicht mit automatisierten Workflows verknüpft, sondern bislang begrenzt auf die Erteilung nicht personalisierter Auskünfte. Die HR-Experten berichten von einer subjektiven Zunahme von Produktivität und Effizienz. Auch auf Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit zeigen sich positive Effekte, HR-Experten nehmen den Chatbot als nützliches Assistenzsystem wahr. Sie erfahren Unterstützung und Entlastung, vor allem, weil die KI als single point of entry fungiert, Informationen schnell, verlässlich und kompakt zur Verfügung stellt und so Zeitdruck reduziert. Die Technologieakzeptanz ist hoch. Im Zuge des KI-Aufbaus entstanden zudem neue Aufgaben (wie Content-Erstellung), die von den Beschäftigten als interessant und anspruchsvoll wahrgenommen werden und die sich positiv auf Arbeitszufriedenheit auswirken. Während die Informationsbeschaffung und -bewertung sowie die Informationsbereitstellung für Vorgesetzte und Kolleg*innen als Tätigkeiten statistisch signifikant abgenommen haben, nehmen Kommunikation und Beratung relativ zu. Die KI wird nahezu wie ein Kollege wahrgenommen. Die Beschäftigten fühlen sich durch die KI dabei nicht bedroht. Nur vereinzelt kommt zum Ausdruck, dass dies sich ändern könnte, wenn die KI mehr und auch komplexere Tätigkeiten beherrscht.

Noch ist KI oftmals nicht Teil eines integrativen Systems. Es bestehen Automatisierungs-Engpässe, die unter anderem darin liegen, dass das Training und die Bereitstellung von Daten für den KI-Aufbau zeitaufwändig sind: „Alltagssprache“, Authentifizierung und Datenschutz, Robotic Process Automation (RPA), Speech-to-Text Technologie für den KI-Einsatz in der Telefonie, aber auch Prozessdigitalisierung, Systemnutzung und mehr. Das sind einige technologische, organisatorische und kulturelle Engpässe, die den Aufbau einer potenten KI verzögern. Im Rahmen des verantwortungsbewussten Technologieeinsatzes setzen die verantwortlichen Menschen Grenzen. Es zeigt sich, dass neu entstehende Aufgaben auf viele Schultern verteilt werden und daher aus neuen Aufgaben nicht auch neue Arbeitsplätze entstehen. Perspektivisch wird die KI in der Lage sein, einfache sowie komplexere Aufgaben zu übernehmen. Obwohl bislang keine Substitution menschlicher Arbeit durch KI stattgefunden hat, ist es möglich, dass künftig weniger Menschen gebraucht werden, wenn KI Tätigkeiten tatsächlich übernehmen kann. Substitutionspotenzial kann realisiert werden, wenn Technologie und Wandel der Organisation voranschreiten. Die Arbeitsplätze, die bestehen bleiben, werden andere Tätigkeiten und Kompetenzprofile umfassen als heute. Dieser Wandel muss gestaltet werden. Wenn es so weit kommt, braucht es eine neue Analyse der Auswirkungen des KI-Einsatzes.

Blick nach vorne: Wie geht es weiter im KI-Forschungsprojekt von Ver.di & IBM?

Derzeit sind zwei weitere Fallstudien bei einem Telekommunikationsanbieter in Planung. Rückblickend auf drei Jahre Chatbot-Einsatz wird untersucht, welche Jobs und Tätigkeiten durch den Einsatz eines KI-basiertes Assistenzsystems entstanden sind, welche Kompetenzprofile diese Jobs aufweisen und inwiefern Training und Up- bzw. Re-Skilling von Beschäftigten erfolgreich stattgefunden haben. Im selben Konzern wird zudem derzeit ein bislang einzigartiges wissenschaftliches Feldexperiment vorbereitet, das den Rollout einer KI-basierten Wissensdatenbank in einem Inbound-Callcenter für Privatkunden wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse zu KI am Arbeitsplatz werden 2020 vorliegen.

Das Forschungsteam im Überblick:

  • Marie-Christine Fregin (INPUT Consulting gGmbH & Maastricht University)
  • Sven Semet (IBM DACH)
  • Mark Levels (Maastricht University)
  • Andries de Grip (Maastricht University)

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