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Die Frage nach mehr Nachhaltigkeit ist längst keine Anforderung einiger weniger, alternativ Denkender mehr, sondern ein starker gesellschaftlicher Trend. Der Wille und die Bereitschaft zur...
Die Frage nach mehr Nachhaltigkeit ist längst keine Anforderung einiger weniger, alternativ Denkender mehr, sondern ein starker gesellschaftlicher Trend. Der Wille und die Bereitschaft zur Nachhaltigkeit nimmt vor allem unter jüngeren Generationen zu und erstreckt sich auch auf die Modeindustrie. Klar ist: Wer jetzt nicht auf diese Anforderung reagiert, wird abgehängt und verliert kurzfristig Vertrauen und langfristig Kunden.
Dass die Branche das erkannt hat und reagiert, zeigen Events wie die Fashion Revolution Week 2020 mit kreativen Kampagnen-Ansätzen wie dem Crisis Fashion Webshop. Fashion Revolution setzt sich für eine saubere, faire und transparente Modeindustrie ein, die wir bei IBM aus technologischer Sicht unterstützen wollen und können. Denn neue Technologien machen es möglich, ein Thema wie Nachhaltigkeit über Wettbewerbsgrenzen hinweg in Angriff zu nehmen. IBM kann die Modeindustrie mit Technologien wie Blockchain unterstützen, die sich bereits in anderen Branchen bewährt haben und beispielsweise für transparente globale Lieferketten sorgen.
Aber welche Szenarien sind heute schon denkbar? Welche Fragen können wir zum Beispiel mit Blockchain beantworten, wenn es um unser Lieblings-Shirt oder die neu gekaufte Hose geht?
Dazu haben wir Max Gilgenmann, Mitbegründer der Fashion Revolution Germany, CEO der Kreativberatung Kaleidoscope Berlin und Content Director des Trade Show Hubs Neonyt und unsere IBM Experten Christian Schultze-Wolters, Geschäftsbereichsleiter Blockchain Solutions sowie Tatjana Meier, Senior Managing Consultant, zum Gespräch gebeten.
In vielen Branchen ist ein neues Bewusstsein zur Nachhaltigkeit zu sehen: Woher kommt das und was ist die Motivation dahinter?
Christian Schultze-Wolters: Vor dem Hintergrund einer zunehmend offeneren und globalen Welt entwickelt unsere Gesellschaft eine “neue Sensibilität” für Themen wie Nachhaltigkeit, Verschwendung und Arbeitsbedingungen. Vor allem die jüngeren Generationen stellen diese Themen in den Vordergrund und überdenken ihren eigenen Lebensstil und ihr Konsumverhalten – und erwarten das auch von den Marken, die ihr Leben begleiten.
Erkennt man dieses Bewusstsein zu mehr Nachhaltigkeit auch, wenn es um Kleidung und Mode geht?
Max Gilgenmann: Es gibt natürlich oft eine Diskrepanz zwischen dem, was der Käufer möchte und was er schlussendlich kauft. Dennoch spielt Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Dabei geht es besonders um Transparenz: Eine Studie von Fashion Revolution hat letztes Jahr ergeben, dass sich 80 Prozent der Befragten mehr Transparenz wünschen. Die Industrie folgt diesem Wunsch immer häufiger. Das sieht man bereits konkret daran, dass große Unternehmen wie H&M oder Zara immer transparenter in der Kommunikation ihrer Lieferketten werden und sogar begonnen haben diese aktiv zu vermarkten.
Die junge Generation ist sehr technikaffin – besonders wenn es darum geht, einen Instagram- oder TikTok-Account zu erstellen und zu bespielen. Gilt das auch für so komplexe Technologien wie Blockchain und Künstliche Intelligenz?
Christian Schultze-Wolters: Auch die jüngeren Kunden wissen in der Regel nicht unbedingt, welche Technologie hinter der Nutzung eines QR-Codes oder anderer Varianten steht, die Informationen für sie transparent machen. Das müssen sie auch gar nicht. Für sie geht es einzig und allein um den erzielten Mehrwert, und den können die heutigen Technologien zweifelsohne liefern. Ungeachtet dessen nimmt die Technikaffinität aber zu und zwar nicht nur bei der jungen Generation, sondern bei der gesamten Bevölkerung. Wenn dazu das Bewusstsein kommt, dass diese Technologien einer Marke zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen können, erwarten die Verbraucher, dass sie auch eingesetzt werden.
Transparenz zu schaffen ist für viele Unternehmen nicht immer einfach. Wie wichtig ist aber genau das für die heutige Modeindustrie?
Max Gilgenmann: Marken sind darauf ausgerichtet, das Vertrauen des Verbrauchers zu er- und behalten. Damit wird Transparenz zum neuen Markenelement, mit dem sich Unternehmen von ihrer Konkurrenz abheben können. Dabei bleibt es allerdings wichtig, die Balance zu halten und den verschiedenen Stakeholdern und Konsumenten gegenüber transparent und offen, der Konkurrenz gegenüber aber nicht zu offen zu sein. Das ist einer der größten Kämpfe, die seit Jahren stattfinden, und den neue Technologien lösen können, weil sie neue Möglichkeiten bieten.
Kann eine neue Technologie wie Blockchain eingesetzt werden, wenn der Verbraucher sich zum Beispiel sicher sein möchte, dass seine Hose aus Bio-Baumwolle besteht?
Tatjana Meier: Ja, Blockchain bietet diese Möglichkeit. Der Großteil der heutigen Kleidung wird nicht mehr im Nachbarort oder im eigenen Land produziert, sondern hat tausende Kilometer hinter sich, wenn sie endlich bei uns im Regal liegt. Diese Reise ist extrem komplex – wenn man hier volle Transparenz will, um die Nachhaltigkeit dahinter aufzuzeigen, muss man nicht nur wissen, wo die Hose genäht wurde, sondern auch, woher das Material stammt und wie das Endprodukt transportiert wird. Hier kommt Blockchain ins Spiel und wird auch bereits genutzt, um Transparenz zu schaffen. Golden State Foods nutzt IBM Blockchain beispielsweise dafür, um die Lagerungstemperatur von Hamburgern in der Lieferkette im Blick zu behalten. Dabei wird eine US-weite Lieferkette nachvollzogen, die auch die verschiedenen Zulieferer und Burger-Restaurants einbindet. Ein anderes Beispiel, bei dem das Vertrauen der Verbraucher durch Transparenz gestärkt wird, ist die Rückverfolgung von Bio-Shrimps durch Blockchain.
Wie kann Technologie die Nachhaltigkeit entlang textiler Wertschöpfungsketten signifikant erhöhen?
Tatjana Meier: Analog zum Lebensmittelbereich gibt es auch in der Fashion-Industrie eine hohe Komplexität und damit auch Intransparenz in der Supply Chain. Technologien helfen hier nicht nur dabei, die notwendige Transparenz zu schaffen, sondern können auch eine Chance sein, die Lieferkette zu “vermenschlichen” – durch eine direkte Verbindung von Konsument und Produzent. Das Start-Up Farmer Connect ist ein gutes Beispiel einer solchen Verbindung: Der Konsument kann den Kaffee mithilfe der IBM Food Trust Blockchain zurückverfolgen und darüber hinaus den Bauern im Produktionsland über die „Thank My Farmer”-App direkt mit einer Spende unterstützen. Was in der Lebensmittelbranche gemacht wird, lässt sich auch in der Fashion-Industrie umsetzen, um zum Beispiel eine gerechtere Entlohnung bei der Herstellung von Kleidungsstücken zu erreichen.
Ein weiteres Beispiel ist die TradeLens-Plattform im Logistik-Bereich: Der gesamte globale Warenverkehr der teilnehmenden Unternehmen wird papierlos abgewickelt, da TradeLens alle Dokumente digital in die Blockchain bringt und deren Echtheit und Aktualität garantiert. Die dadurch erheblich verbesserte Datenqualität ermöglicht es den am Netzwerk teilnehmenden Unternehmen ihre Prozesse effizienter zu gestalten, logistische Planungen zu optimieren, Kosten zu reduzieren und als Partner im Öko-System verlässlicher zu werden.
Helfen Lösungen wie Blockchain auch kleineren Herstellern oder geraten wir noch tiefer in Abhängigkeitssysteme, die das aktuelle Marktmachtgefälle zwischen kleinen und großen Handelsunternehmen weiter festigen?
Christian Schultze-Wolters: Gerade die mittelständischen und kleineren Unternehmen sind prädestiniert dazu, mitzumachen, sich aktiv einzubringen und sich in den globalen Lieferketten mit ihren Mehrwerten zu positionieren. Durch Blockchain und die daraus entstehende Transparenz werden die “hidden champions” sichtbarer und in ihrer (Sub-) Branche präsenter.
Warum macht es hier vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit Sinn, ausgerechnet auf eine Technologie zu setzen, die – zumindest aktuell noch – einen so intensiven Daten- und Stromverbrauch hat?
Christian Schultze-Wolters: Die Blockchain-Technologie, die wir hier einsetzen, basiert – im Gegensatz zu Bitcoin – auf einer sogenannten “privaten Blockchain”, damit sind Daten- und Stromverbrauch “normal” und mit gängigen Softwareprodukten vergleichbar.
In den letzten Wochen mussten aufgrund der COVID-19-Pandemie schon sehr viele von uns ihre Komfortzone verlassen und wir alle verzeichnen natürlich eine deutlich gesteigerte Nutzung digitaler Technologien. Birgt die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise eine langfristige Chance, die Dekade der Nachhaltigkeit schneller in Gang zu bekommen?
Christian Schultze-Wolters: Die Komfortzone, die wir alle verlassen mussten, ist aus unserer Sicht eine andere, aber ja, in einem Land, das in den vergangenen Jahren nicht sonderlich stark “auf die Karte der Digitalisierung gesetzt hat”, kann und wird eine solche Situation auch Technologien stärken, die für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Denn wir erkennen, welche Vorteile und Potentiale der Einsatz digitaler Technologien heute schon hat und darüber hinaus in Zukunft noch entfalten kann. Und es wird uns bewusster, wie wichtig eine transparente Lieferkette in den verschiedenen Branchen ist und wie schwach wir teilweise in einer zunehmend globaler und komplexer werdenden Welt aufgestellt sind.
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