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Wie hilfreich intelligente Automatisierung sein kann, erlebt derzeit jeder, der seine Steuererklärung selbst macht: Informationen des Arbeitgebers und von Behörden befinden sich automatisch in...
Wie hilfreich intelligente Automatisierung sein kann, erlebt derzeit jeder, der seine Steuererklärung selbst macht: Informationen des Arbeitgebers und von Behörden befinden sich automatisch in der Steuersoftware des Anwenders, die dann nützliche Vorschläge zur Optimierung macht. Ein echtes „Wow“-Erlebnis!
Dieses einfache Beispiel steht für eine Vielzahl von aktuellen Projekten zu dem Thema „Intelligent Workflows“: Arbeitsschritte, die zunehmend vom Roboter übernommen und auf Basis von Daten und Künstlicher Intelligenz kontinuierlich verbessert werden. Der Anwender, in dem Fall der Steuerpflichtige, braucht die Leistung des Roboters nur noch zu kontrollieren. Soweit, so gut. Aber benötigt man dann eigentlich noch einen Steuerberater? Für die allermeisten Fälle sicherlich nicht mehr.
In diesem Beitrag widme ich mich daher dem Menschen und dem Change Management im Zuge der intelligenten Automatisierung von Arbeitsschritten. Da dies kritische Größen für den Erfolg von IT-Projekten, für die Zukunftsfähigkeit einer Organisation sowie ganzer Gesellschaften sind, haben wir für unsere Kunden den Ansatz „Human Friendly Automation“ entwickelt.
Megatrend Automatisierung: Ziele der Kunden und Auswirkungen auf Mitarbeiter
In Bezug auf unsere Automatisierungsleistungen verfolgen Kunden unterschiedliche Interessen: Entweder handelt es sich um das Ziel (a) Einsparungen zu erreichen und Effizienzen zu heben, (b) fehlende Personalkapazitäten durch Robotics – wir sprechen von „Digital Workforces“ – auszugleichen oder (c) das Anwendererlebnis zu optimieren. Manchmal ist es ein Mix dieser Ziele, manchmal aber auch nur eines davon.
Einsparungen sollen vor allem in Servicecentern derzeit erzielt werden. So ist beispielsweise vom digitalen Eingang einer Rechnung bis zur Begleichung der Rechnung keinerlei menschliche Interaktion mehr nötig. Ähnliche Entwicklungen sind bei dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Feld von kreativen Berufen zu erwarten: Duftstoffe können je nach Rohstoffkosten und Kundenbedarf kostengünstiger und schneller als bislang kreiert werden. Die Maschine macht es möglich. Der Parfümeur muss den Roboter nur noch kontrollieren. Die Anzahl der Fachkräfte ist reduzierbar.
Das zweite Interesse ergibt sich beispielsweise aus dem demographischen Wandel. Insbesondere im öffentlichen Dienst oder für Unternehmen fernab der Metropolen ist das Thema Personal- und Fachkräftemangel allgegenwärtig. IBM unterstützt diese Kundengruppe bei der Lösung ihres Problems, indem die Automatisierungstechnologie zeitintensive Routinetätigkeiten von Mitarbeitern übernimmt. Diese Entlastung ermöglicht es, mit weniger Personal weitgehend gleiche Leistungen sicherzustellen. Der digitale Mitarbeiter ersetzt den physischen Mitarbeiter in Bezug auf einen konkreten Prozess. Der Mensch kann sich anderen Aufgaben zuwenden.
Und auch die dritte Kategorie von Kundeninteressen – das Anwendererlebnis durch Intelligent Workflows zu verbessern – hat erhebliche Folgen für uns Menschen. Erinnern wir uns an das Beispiel der Steuersoftware vom Anfang. Das „Wow“-Erlebnis für den Anwender hat Konsequenzen für die Berufsgruppe der Steuerberater und deren Mitarbeiter.
Die Qualität der Veränderung hat sich gewandelt
Alle Ziele, die unsere Kunden mit Automatisierung derzeit verfolgen, sind betriebswirtschaftlich sinnvoll: Kundenerlebnisse verbessern, Kosten senken, Effizienzen heben, Kapazitäten ausgleichen. All das machen IBM Technologien und Services möglich. Es ist daher verständlich, dass die Nachfrage groß ist und von einem Megatrend in diesem Jahrhundert gesprochen werden kann.
Die genannten Beispiele machen aber auch deutlich, dass die Auswirkungen auf die Belegschaft größer sind denn je. Für manche geht es um die berufliche Existenz. Andere verlieren möglicherweise an Reputation, Status und Anerkennung, wenn ein Roboter die Aufgabe übernimmt. Und wieder andere freuen sich auf eine versprochene Entlastung durch die Automatisierung, sehen sich aber mit der damit verbundenen Aufgabe an persönlicher Erneuerung konfrontiert.
Große Versprechen brauchen konkrete Antworten
Während die betriebswirtschaftlichen Ziele also glasklar sind, ist die Zukunft für die Mitarbeiter in der Regel weitgehend ungewiss, wenn ein Automatisierungsprojekt gestartet wird. Fast alle vielversprechenden Stories enden mit der Vision, dass sich die Mitarbeiter dank Automatisierung sinnstiftenden, kreativen Aufgaben zuwenden können. Für mich als „Changer“ endet die Story damit jedoch nicht, sondern ist vielmehr der Einstiegspunkt. Ich frage mich „Was sind das genau für sinnstiftende Jobs?“ „Wie viele gibt es davon?“ „Welche Kompetenzen und Resistenzen gibt es?“ „Wie bereiten wir die Mitarbeiter auf ihre neue Aufgabe vor?“ „Was machen wir mit potenziellen Überkapazitäten?“ „Und wie organisieren wir das Zusammenspiel zwischen digitaler Arbeitskraft, dem Mitarbeiter und der Führungskraft so, dass eine effiziente soziale Beziehung dauerhaft entsteht?“
Diese sozialverantwortlichen Fragen zu beantworten, erwarten nicht nur die betroffenen Mitarbeiter. Auch die Arbeitnehmervertretung sowie Investoren und Gesellschafter wollen wissen, wie sich das geplante Automatisierungsprojekt auf die Aufbau- und Ablauforganisation konkret auswirkt, welche Perspektiven eröffnet werden und mit welchen Human Capital Costs (beispielsweise durch Outplacement, People Development und Re-Organisation) gerechnet werden muss. Nachhaltige Unternehmensführung macht vor der Digitalisierung nicht halt. Antworten sind nicht Kür, sondern Pflicht.
Human Friendly Automation liefert Rahmenwerk
Als beratendes Change-Team von IBM Global Business Services in der DACH-Region ist es unsere Aufgabe darauf zu achten, dass die Erfolgsstory der intelligenten Automatisierung auch eine Erfolgsstory für die Mitarbeiter und Organisationen wird. Dafür mussten wir Antworten darauf liefern, wie ein sozial verantwortliches Veränderungsmanagement für die Anforderungen aus intelligenter Automatisierung aussieht.
Mit Human Friendly Automation haben wir ein Rahmenwerk für eine Herangehensweise entwickelt. Es setzt sich zusammen aus den drei Kernkomponenten Human Friendly Automation Governance (HFAG), Human Friendly Automation Assessment (HFAA) sowie der strategischen Organisations- und Personalplanung, die wir bei IBM „Enterprise Architecturing“ (EA) nennen. Alle drei Komponenten ergänzen und verstärken sich gegenseitig.
HFAG – Selbstverpflichtung zur sozialen Verantwortung
Der Präsident einer großen deutschen Behörde müsste aufgrund des demographischen Wandels dringend automatisieren, aber er zögert. Denn immer wieder nimmt er in den Medien wahr, dass viele Automatisierung mit Jobverlust verbinden. Er möchte nicht Gefahr laufen, einen „Shitstorm“ erleben zu müssen, wenn er das Thema anpackt.
Es ist daher wichtig, mit einer Selbstverpflichtung zur sozialverantwortlichen Ausgestaltung zu starten. Wir entwickeln mit unseren Kunden eine Human Friendly Automation Governance und begleiten die Implementierung. Ziel ist es, dass jeder innerhalb und außerhalb der Organisation weiß, dass es Werte und Prinzipien für eine faire Herangehensweise bei intelligenter Automatisierung gibt. Wir stellen durch einen innovativen Ansatz sicher, dass die Werte und Prinzipien von Human Friendly Automation im Alltag nicht zum Lippenbekenntnis werden.
HFAA – Auswirkungen auf Betroffene genau verstehen
Der CDO eines Chemiekonzerns hatte stolz den Business Case für ein großes Chatbot-Projekt bei den internen Sponsoren präsentiert. Der Betriebsrat ließ seine Träume platzen, weil er eine Frage nicht beantworten konnte: „Wie viel Zeit wird künftig für den betroffenen Mitarbeiter frei und was möchte dieser dann tun?“
Unser Human Friendly Automation Assessment liefert anhand von Analysen detaillierte Antworten auf die Fragen: Wie hoch wird der Grad der Automatisierung in dem betroffenen Bereich oder Team sein? Wie viel Produktivzeit wird konkret für die betroffene Mitarbeitergruppe frei? Welche Form der Identifikation und welche Intensität hat die Mitarbeitergruppe mit den Arbeitsschritten, die der „digitale Mitarbeiter“ übernimmt? Welche Fähigkeiten und Interessen liegen vor? Welche Lernkultur bzw. Veränderungskompetenz ist vorhanden? Wie müssen sich die in dem Team verbleibenden Mitarbeiter organisieren, deren neuer Kollege eine Maschine ist?
EA – Big Picture entwickeln und Zukunft geben
Es ist klar, dass der Betriebsrat seine Frage an den CDO noch um eine weitere Dimension hätte erweitern können: „Welche konkrete Stelle in welchem Bereich wollen Sie dem von der Automatisierung betroffenen Mitarbeiter anbieten und wie motivieren und befähigen Sie ihn für diese neue Tätigkeit?“
Deutlich wird dabei, dass das HFAA relevante Insights bereitstellt, es aber einer gesamt-organisationalen Planung bedarf. Denn was bringt es zu verstehen, wie sich die Automatisierung auf Mitarbeiter auswirkt, wenn unklar bleibt, wo und wie die Zukunft für sie aussieht?
Um diese Lücke zu schließen, unterstützen wir unsere Kunden mit einer organisationsübergreifenden Personalstrategie, die mit einer Automatisierungsstrategie verwoben ist. Wir nennen dieses Vorgehen Enterprise Architecturing.
Wir erleben heute oftmals noch, dass viele Organisationen keine gesamtheitliche Automatisierungsstrategie haben und damit auch die Frage nach einer integrierten HR-Strategie gar nicht erst relevant wird. Für diese Fälle beziehen wir unsere Kollegen des IBM Bereichs Digital Strategy ein. Das Team entwickelt und testet mit unseren Kunden automatisierte Geschäftsmodelle. Darauf aufbauend können wir ein zukunftsfähiges Zusammenarbeitsmodell erarbeiten sowie Herausforderungen und Chancen idenitifizieren. Dies macht es möglich, Mitarbeitern konkret sagen zu können, wo – basierend auf ihren Stärken und Interessen – ihre Zukunft liegt und wie sie auf ihrem Weg der Veränderung unterstützt werden.
Fazit: Human Friendly Automation ist kein Selbstzweck
Man darf sich nichts vormachen: Alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Um so wichtiger wird die Frage für unsere Kunden werden, wie nachhaltig sie vorgehen.
In meiner Vergangenheit habe ich viel Erfahrung in der Politik und Public Affairs sammeln dürfen. Das Thema der Automatisierung ist ein Thema von politisch-gesellschaftlicher Relevanz. Kunden dürfen jetzt nicht den Fehler machen, sich rein auf betriebswirtschaftliche, kurzfristige Ziele zu fokussieren. Denn aufgrund der „sozialen Sprengkraft“ bei dem Thema der intelligenten Automatisierung besteht die Gefahr der negativen Stimmungsmache im öffentlichen Diskurs sowie Reputationsschäden von erheblicher Größe. Dass dies auch wirtschaftliche Relevanz hat, zeigen nachhaltige Ratingkriterien von Investoren und Aktienindizes, wie der in diesem Jahr aufgelegte DAX ESG.