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Retouren im Versandhandel mithilfe von KI vorhersagen und vermeiden
By | Information Architecture Technical Specialist - Data Science
September 01, 2020

Das bestellte Paket kam endlich an. Schnell ausgepackt, anprobiert, zwei der vier Hosen sitzen gut. Zum Glück hat man eine kleine Auswahl bestellt, die anderen zwei Hosen kann man ja...

Das bestellte Paket kam endlich an. Schnell ausgepackt, anprobiert, zwei der vier Hosen sitzen gut. Zum Glück hat man eine kleine Auswahl bestellt, die anderen zwei Hosen kann man ja erfreulicherweise kostenfrei als Retoure zurückschicken. Kommt das Szenario bekannt vor? Der Online-Versandhandel macht aus unseren eigenen vier Wänden schnell einmal die private Umkleidekabine, oder den Showroom für alle möglichen Produkte. Das bedeutet auch, dass die Anzahl der Rücksendungen steigt.

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2018 wurden 286 Mio. Retouren angemeldet, Tendenz – proportional zu dem boomenden Onlinehandel – steigend. Jedoch verursachen Rücksendungen Transportkosten, Umweltbelastungen und benötigen Arbeitskräfte entlang des gesamten Retouren-Prozesses. Das bedenklichste ist jedoch: ein bemerkenswerter Teil der Retouren landet im Müll.

Auch die Bundesregierung möchte Händler gesetzlich dazu verpflichten, zurückgesendete Waren möglichst erneut zu verkaufen oder wiederverwertbar zu machen. Damit soll verhindert werden, dass beispielsweise einwandfreie Ware weggeworfen wird, nur, weil es für ein Unternehmen günstiger ist, als sie erneut aufzubereiten.

Kundenprofile auf Basis von Analysen und Modellen

Technologien wie Data Science und KI-Verfahren können hier Abhilfe schaffen. Auf Basis von mathematisch-statistischen Methoden können geeignete Vorhersagemodelle entwickelt werden, die etwa prognostizieren, welche Art von Retoure es sein wird, wie hoch der Aufbereitungsaufwand ausfallen wird und wie viele interne Ressourcen eingeplant werden müssen. Sogar Vorhersagen zum Rücksende- und Kaufverhalten sind möglich.

Aber auf was stützen sich nun die Analyse und Modellerstellung in der Praxis?

Vor allem auf historische Daten wie dem Bestellverhalten, historischen Kundentransaktionen, der Bestellhistorie und manchmal auch elektronischem Schriftverkehr (E-Mails oder soziale Medien). All diese Informationen werden mit einem geeigneten Algorithmus oder Verfahren des maschinellen Lernens zu einem oder mehreren Modellen verrechnet. Diese Kundenmerkmale, über alle verfügbaren Kunden analysiert, können zu Profilen bzw. Modellen verarbeitet werden, mit denen sich oben genannte Fragen beantworten und abschätzen lassen. Um diese Profile bzw. Modelle anzulegen, können etwa folgende Kundeninformationen aufschlussreich sein:

  • Alter: 39 Jahre bzw. Altersgruppe: 35 – 50 Jahre
  • Geschlecht: weiblich
  • Familienstand: verheiratet
  • Wohnort: städtisch
  • Kinder im Haushalt: ja
  • Bildungsabschluss: Abitur mit anschließendem Fachstudium
  • Beruf: leitende Angestellte
  • Fachbereich: Marketing
  • Hausbesitz: ja
  • Auto: ja
  • Haustier: ja
  • Hobbies: Joggen und Yoga bzw. sportlich aktiv

Diese Merkmale und ihr oben erwähntes Bestellverhalten lassen vermuten, dass diese Kundin oft online einkauft und dabei drei bis fünf Artikel im Warenkorb liegen, von denen ca. 20 Prozent zurückgesendet werden.

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Auf die Datenmenge kommt’s an

Liegen diese Informationen für den Großteil des Kundenstamms und tagesaktuell vor, kann ein Data Scientist für die jeweiligen Profile Kategorien und darauf aufbauend Modelle entwickeln. Dies könnte zum Beispiel der Retourentyp (sendet nie/fast nie zurück, sendet häufig zurück, sendet fast immer zurück) sein, und/oder das Mengengerüst, also die Anzahl der zurückgesendeten Teile und der Aufbereitungssaufwand der Retouren.

Konkret gibt eine derartige Modellierung folgende Einbli >zeit- und saisonabhängige Vorhersagen zu den Mengengerüsten der zurückgesendeten Artikel

  • tages- und wochenaktuelle Prognosen zu den benötigten Personalbedarfen
  • typische Profile von Rücksendern
  • Produkte und Produktkombinationen, welche besonders häufig zurückgesendet werden
  • Aufwandsabschätzungen, die für die Aufbereitung und Wiederverwertung nötig sind
  • kundenspezifische Affinitätsprofile
  • gezieltes Kampagnenmanagement betreiben und
  • Vorhersagen zur Kaufwahrscheinlichkeit bestimmter Produkte.

Mit diesen Informationen können anschließend geeignete Maßnahmen ergriffen und Strategien entwickelt werden, um Retouren zu vermeiden.

Wie sehen solche Maßnahmen aus? Im Einzelnen können das zum Beispiel detaillierte Produktbeschreibungen, die vom KI-Modell gesteuert werden, oder maßgeschneiderte, profilspezifische Beratung im Kundencenter sein. Eine weitere Möglichkeit ist bereits im Vorfeld, also bevor die Bestellung eingeht, Änderungen im Bezahlsystem bzw. den Bezahlmöglichkeiten vorzunehmen. Oder es werden Maßnahmen ergriffen, die „ungehemmtes“ Bestellverhalten regulieren.

Aller Anfang ist schwer …

Wo fängt ein Versandunternehmen, das solche KI-Prognosen implementieren möchte, am besten an? Bei IBM hat sich bewährt, zum Projektstart gemeinsam mit dem Kunden einen Daten- und Use-Case-Workshop durchzuführen, um mögliche Potenziale aufzudecken und zu bewerten. Abhängig von der individuellen Situation des Kunden dauert dieser in der Regel ein bis drei Tage. Anhand eines konkreten Anwendungsfalls, den der Kunde im Vorfeld des Workshops definiert, und mithilfe der IBM-Lösungen lässt sich abschätzen, welche Resultate und Erfolge mit einer entsprechenden Datenmodellierung zu erwarten sind.

Folgende Ergebnisse lassen sich mithilfe eines Daten- und Use-Case-Workshops erzielen:

  • das Unternehmen lernt seine Daten selbst besser kennen und erkennt, welche Aus­wertungspotenziale in ihnen stecken
  • die Fachabteilung formuliert ein oder mehrere konkrete Fragestellungen für nützliche Use Cases (Anwendungsfälle)
  • Gemeinsam werden die analytischen Potenziale in den Daten erforscht und es erfolgt eine Abschätzung, welcher Nutzen für den Kunden aus den Daten zu holen ist
  • die Anwender bekommen einen Überblick und ein Gefühl für den geschäftlichen Nutzen einer entsprechenden Modellierung
  • der Kunde kann abschätzen, wie hoch der Aufwand und die Kosten für ein konkretes Analyseprojekt anzusetzen sind

Auf dieser Grundlage kann sehr fundiert entschieden werden, ob und welche nächsten Schritte sinnvoll sind. Zu Beginn ist meist ein kleines Serviceprojekt mit einer Modellierung sinnvoll, deren Ergebnisse in konkreten Geschäftssituationen anwendbar sind.

Fazit

Analyse und Modellerstellung geben Online- und Versandhändlern nicht nur umfassende Einblicke in das Bestellverhalten ihrer Kunden, sondern mit ihrer Hilfe lassen sich auch Retouren besser vorhersehen – und im Idealfall sogar ganz vermeiden. Das Praktische ist, dass diese Modelle je nach Einsatzgebiet, bedarfsgerecht benutzt werden können und vielfältig einsetzbar sind.

Als Folge dieser Vorhersagen und Modellierungsmöglichkeiten ergibt sich zusätzlicher Mehrwert für das Unternehmen. So kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Onlinehandel eine Zeit- und Kostenersparnis in zahlreichen Geschäftsbereichen, ein effizienter Personaleinsatz, bessere Planungsgrundlagen sowie eine höhere Wertschöpfung und erhöhte Verkaufspotenziale aufgrund besserer und personalisierter Kundenansprache bedeuten. Vor allem aber kann es zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität führen, wenn die Kunden besser informiert werden und im Fall einer Retoure eine verbesserte Abwicklung erfahren.

Unternehmen aus dem E-Commerce sollten daher die Möglichkeiten und Potenziale von Data Science und KI-Verfahren nutzen, um effektiv Kosten und vor allem die Umweltbelastung durch einen Rückgang der Retouren zu senken.

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