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Einsatz von KI am Arbeitsplatz: Ver.di & IBM KI-Forschungsprojekt
December 09, 2020

Chatbots, Voicebots, Cognitive Advisor, autonome Assistenzsysteme und Visual Recognition: Innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) verändern, was und wie Menschen arbeiten und...

Chatbots, Voicebots, Cognitive Advisor, autonome Assistenzsysteme und Visual Recognition: Innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) verändern, was und wie Menschen arbeiten und ermöglichen zunehmend selbststeuernde Prozesse. Obwohl die quantitativen Beschäftigungseffekte durch KI und Robotik bislang überschaubar sind – die qualitative Transformation von Arbeit ist schon heute fundamental, weitreichend und unumkehrbar. Aus dem Einsatz innovativer Technologien – KI steht hier stellvertretend im Vordergrund – folgt eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine, deren Auswirkungen längst nicht hinreichend erforscht sind. Welche Effekte hat der Einsatz von KI am Arbeitsplatz für Arbeitnehmer_innen und Arbeit? Wie wirkt KI auf Arbeitsqualität und Employee Experience – ist das, was bleibt, wenn KI kommt, gute Arbeit? Macht KI-Assistenz Menschen schneller und besser? Welche neuen Tätigkeiten entstehen, was fällt weg, und wie ändern sich Kompetenzprofile bestehender Jobs? Und: Welche Chancen, Perspektiven und Notwendigkeiten ergeben sich daraus?

Zu diesen Fragen haben IBM und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gemeinsam ein Forschungsprojekt beauftragt, das von 2018-2020 in Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) realisiert wurde. Das Projekt wurde vom Research Centre for Education and the Labour Market (ROA) der Maastricht University und von INPUT Consulting gGmbH in Stuttgart durchgeführt. Während bisherige Studien oftmals makroökonomische Beschäftigungseffekte von KI und Robotik analysieren, untersucht das KI-Forschungsprojekt von IBM und ver.di die tatsächlichen Auswirkungen des KI-Einsatzes direkt in betrieblichen Kontexten. Im Rahmen des Projektes wurden zwei Fallstudien bei und mit der Siemens AG (Einsatz von KI im Personalmanagement) und der Deutsche Telekom Service GmbH (KI-ähnliches Tool als Assistenzsystem in der Kundenberatung) durchgeführt. Es war ein (sozial-) partnerschaftlicher Verbund aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaft/Betriebsräten und Politik, der das Projekt zum Fliegen brachte. Das gemeinsame Anliegen aller Beteiligten war Erkenntnisfortschritt und gelebte Sozialpartnerschaft. Es ging darum, gemeinsam neue Wege der Kooperation zu gehen, Technikfolgen frühzeitig in den Blick zu nehmen und gemeinsam zu lernen.

Der (sozial-)partnerschaftliche Projektverbund – Netzwerk und beteiligte Organisationen

Die Fallstudien im Rahmen des Projektes liefern Grundlagenforschung für eine proaktive und evidenzbasierte Gestaltung von Arbeitswelten und Business Cases der Zukunft. Eine Forschungslücke, die das Projekt adressierte, liegt in der Identifikation und Quantifizierung kausaler Effekte des KI-Einsatzes auf Arbeitsleistung und Qualität des Arbeitslebens. Diese wurden im Rahmen eines randomisierten wissenschaftlichen Feldexperimentes mit Vorher-Nachher-Vergleichen zu KI am Arbeitsplatz untersucht. Hierzu wurden statistische Datenanalysen mit Interviews und Beschäftigtenbefragungen kombiniert. Die Forschungsdesigns für die beiden Fallstudien – ein Feldexperiment, eine Mixed-Methods-Studie – wurden in co-kreativen Formaten gemeinsam mit den teilnehmenden Unternehmen und ihren Betriebsräten entwickelt. Das kleine, agile Projekt fand viele Mitstreiter_innen, die bereit waren sich dafür zu engagieren. Die ursprünglichen, rein auf Forschung orientierten Projektziele wurden bald um sozialpartnerschaftliche Initiativen ergänzt: aus co-kreativen Workshops zur Gestaltung von Fragebögen wurde ein transdisziplinärer Dialog, aus dem technischen Projektbericht eine Broschüre, die allen Interessierten wertvolle Anregungen geben soll.

Forschung und sozialpartnerschaftliche Initiativen in Kombination – Die Projektidee im Überblick

KI-Einsatz in HR – Fallstudie CARL@Siemens AG

Seit 2017 setzt die Siemens AG den kognitiven HR-Assistenten CARL ein, einen Chatbot, der kontinuierlich trainiert und in der absehbaren Zukunft zu fast allen Themen rund um HR und Personalwesen auskunftsfähig sein wird. CARL, eine SPoC-Lösung (Single Point of Contact) mit Chatbot, ist ein international angelegtes KI-Projekt, das auf IBM Watson basiert und aktuell (Herbst 2020) pro Monat mehr als 1,5 Millionen Interaktionen zwischen Mensch und Maschine verzeichnet. Im Rahmen einer Fallstudie wurden die Auswirkungen dieses KI-Einsatzes für HR Expert_innen und andere Beschäftigte, die am KI-Projekt beteiligt oder davon betroffen sind, untersucht. Im Fokus der Analysen standen dabei die Arbeit und die Qualität des Arbeitslebens. Dies sind die zentralen Ergebnisse:

Menschengetriebene Technologie – nicht technologiegetriebene Menschen

In den Interviews bestätigten die HR-Expert_innen unter anderem eine subjektive Steigerung ihrer Produktivität und Effizienz durch den Einsatz von CARL sowie einen Rückgang sich wiederholender Aufgaben. Bislang hat keine Substitution menschlicher Arbeit durch KI-Einsatz stattgefunden. Der Chatbot ist noch nicht mit automatisierten Workflows verknüpft, sondern bislang begrenzt auf die Erteilung nicht-personalisierter Auskünfte. Auf die Qualität des Arbeitslebens und Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten zeigen sich positive Effekte: Die HR-Expert_innen nehmen den Chatbot als nützliches Assistenzsystem wahr. Sie erfahren Unterstützung und Entlastung, vor allem, weil die KI als „single point of entry“ fungiert, Informationen schnell, verlässlich und kompakt zur Verfügung stellt und so Zeitdruck reduziert. Die Technologieakzeptanz ist hoch. Im Zuge des KI-Aufbaus entstanden zudem neue Aufgaben (wie Content Creation), die von den Beschäftigten als interessant und anspruchsvoll wahrgenommen werden und die sich positiv auf die Arbeitszufriedenheit auswirken. Während Informationsbeschaffung und -bewertung sowie Informationsbereitstellung für Vorgesetzte und Kolleg_innen als Tätigkeiten abgenommen haben, nehmen in der Wahrnehmung der HR-Expert_innen Kommunikation und Beratung relativ zu. Die KI wird nahezu wie ein Kollege wahrgenommen. Die Beschäftigten fühlen sich durch die KI dabei nicht bedroht. Nur vereinzelt kommt zum Ausdruck, dass dies sich ändern könnte, wenn die KI mehr und auch komplexere Tätigkeiten beherrscht.

Noch ist KI oftmals nicht Teil eines integrativen Systems. Die Fallstudie zeigt auch, dass KI heute noch weniger leistet, als sie in Zukunft können wird. Heute gibt es diverse organisatorische, strategische wie auch kulturelle und gesellschaftspolitische Engpässe, die den Aufbau einer potenten KI verzögern. Es bestehen auch technologische Automatisierungs-Engpässe, die unter anderem darin liegen, dass Training und Bereitstellung von Daten für den KI-Aufbau zeitaufwendig sind: Das Training für „Alltagssprache“, Authentifizierung und Datenschutz, die Verknüpfung mit zum Beispiel Robotic Process Automation (RPA), Speech-to-Text-Technologie für den Einsatz von KI am Arbeitsplatz in der Telefonie, aber auch Prozessdigitalisierung etc. sind sogenannte „bottlenecks“. Im Rahmen des verantwortungsbewussten Technologieeinsatzes setzen zudem die verantwortlichen Menschen sinnvolle Grenzen.

Es zeigt sich, dass neu entstehende Aufgaben auf viele Schultern verteilt werden und daher aus neuen Aufgaben nicht unbedingt auch neue Arbeitsplätze entstehen. Perspektivisch wird die KI in der Lage sein, einfache sowie komplexere Aufgaben zu übernehmen. Es ist möglich, dass künftig weniger Menschen gebraucht werden, wenn KI zunehmend Tätigkeiten übernehmen kann. Substitutionspotential kann realisiert werden, wenn Technologie und Wandel der Organisation voranschreiten. Die Arbeitsplätze, die bestehen bleiben, werden andere Tätigkeiten und Kompetenzprofile umfassen als heute. Dieser Wandel muss gestaltet werden. Wenn es so weit kommt, braucht es eine neue Analyse der Auswirkungen des Einsatz von KI am Arbeitsplatz.

KI-Einsatz im Kundenservice – die Einführung eines Persönlichen Interaktiven Assistenten bei der Telekom Service GmbH

Für die zweite Fallstudie zum Einsatz von KI am Arbeitsplatz wurde ein randomisiertes, kontrolliertes Feldexperiment durchgeführt – mit einer Experimentgruppe, die im Verlauf der Untersuchung mit Technologie-Assistenz zu arbeiten begann, und einer Kontrollgruppe ohne diese Unterstützung. Bei der eingesetzten Technologie handelt es sich um eine Attended Automation beziehungsweise eine Robotic Desktop Automation, die bestehende IT-Systeme ergänzt und Prozesse in Interaktion mit den Nutzer_innen teil-automatisiert durchführen kann. Das System wurde im Frühjahr 2020 sukzessive in einem Teil der Servicecenter ausgerollt. Im Rahmen der Fallstudie wurde untersucht, welchen Effekt das System auf Servicequalität und Arbeitsleistung von Kundenberater_innen hat und inwiefern sich die Qualität des Arbeitslebens und z.B. Arbeitszufriedenheit verändern. Dafür wurden zwei Beschäftigtenbefragungen vor und nach der Einführung des Systems durchgeführt und Performanzindikatoren in statistischen Modellen ausgewertet. Die Ergebnisse werden in einem wissenschaftlichen Fachartikel veröffentlicht.

Die vorläufigen zentralen Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen: Auf Basis der vorhandenen Daten lässt sich zeigen, dass die Einführung des Systems in den ersten Wochen keine großen Effekte oder Leistungssteigerungen bedingt. Insgesamt finden sich aktuell keine Hinweise darauf, dass die Einführung des Assistenzsystems die Produktivität der Kundenberater_innen oder die Servicequalität wie erwartet steigert. Da sich auf Basis der Daten keine langfristigen Technikfolgen abschätzen lassen, bezeichnen wir diese Effekte als sogenannte „first week effects“ (Anpassungseffekte). Die Schlussfolgerung ist, dass interaktive Assistenzsysteme ein hohes Maß an Investment und Training zu Beginn bzw. vor Einsatz in der Praxis bedürfen, damit positive Effekte erzielt werden können. Die Notwendigkeit ausreichenden Trainings gilt dabei nicht nur für die Technik, sondern auch für Beschäftigte, die mit der Technik arbeiten. Die Qualität des Arbeitslebens wird durch den Einsatz des Systems nicht beeinflusst. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass sich zum Beispiel Arbeitszufriedenheit durch den Einsatz von KI am Arbeitsplatz verändert. Die einzigen, schwachen Effekte, die wir finden, deuten darauf hin, dass die Experimentgruppe nach der Einführung des Systems einen leichten Rückgang von Stress erlebt. Die vollständigen Ergebnisse werden in einem wissenschaftlichen Fachartikel veröffentlicht.

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Einsatz von KI am Arbeitsplatz erfordert neue Kooperationen

Technologischer Fortschritt und im besonderen KI werden die Arbeitswelt zunehmend verändern. Alle Stakeholder und Gestalter_innen dieses Wandels, das hat dieses Projekt gezeigt, müssen an einem Strang ziehen, um die Chancen der Technologie für alle nutzbar zu machen und die Herausforderungen zu meistern. Vor diesem Hintergrund werden neue Formen der Kooperation zwischen Wirtschaft, Gewerkschaft, Wissenschaft und Politik weiter an Bedeutung gewinnen. Experimentieren wird wichtiger, Ausprobieren und aus Erfahrungen – auch aus Fehlern – zu lernen. Noch wissen alle nur schemenhaft, was kommt. (Sozial-)Partnerschaftlich getragene Projekte, wie das hier vorgestellte, tragen dazu bei, dass alle Gestalter_innen gemeinsam lernen, der technologische und gesellschaftliche Wandel gut gelingt und die positiven Effekte  technologischer und sozialer Innovationen zum Tragen kommen.

Die Broschüre über das Forschungsprojekt zum Einsatz von KI am Arbeitsplatz können Sie sich unter diesem Link downloaden.  

Das Forschungsteam im Überblick:

  • Marie-Christine Fregin (INPUT Consulting gGmbH & Maastricht University)
  • Sven Semet (ASSIMA, IBM Business Partner)
  • Mark Levels (Maastricht University)
  • Andries de Grip (Maastricht University

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