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Der Physiker Leo Gross, einer der Forschungsmitarbeiter bei IBM Research Europe in Zürich, zählt zu den zehn diesjährigen Gewinnern der renommierten Falling Walls-Konferenz in Berlin in der...
Der Physiker Leo Gross, einer der Forschungsmitarbeiter bei IBM Research Europe in Zürich, zählt zu den zehn diesjährigen Gewinnern der renommierten Falling Walls-Konferenz in Berlin in der Disziplin Naturwissenschaften. Die Konferenz zeichnet jedes Jahr besonders wegweisende wissenschaftliche Durchbrüche aus.
Einer der führenden Köpfe der Rasterkraftmikroskopie
Leo Gross hat sich auf die Atom- und Molekülmanipulation spezialisiert und zählt auf diesem Gebiet zu den führenden Köpfen weltweit. Mit seinem Schwerpunkt auf der Weiterentwicklung der Rasterkraftmikroskopie (Atomic Force Microscopy, AFM) und der Rastertunnelmikroskopie (Scanning Tunneling Microscopy, STM) hat er maßgeblich zu bedeutenden Fortschritten in diesen Bereichen beigetragen. Er entwickelt und verwendet die Rastermikroskopie als Werkzeug für die Molekülsynthese, die Strukturaufklärung und zur Untersuchung von Ladungstransfers einzelner Elektronen auf atomarer Ebene.
Leo Gross tritt in die Fußstapfen so bedeutender Vordenker wie Gerd Binnig und Heinrich Rohrer, die mit der Einführung der Rastertunnelmikroskopie im Labor von IBM Research in Zürich Geschichte schrieben, indem sie einzelne Atome erstmals sichtbar machten. Ihre bahnbrechende Entwicklung, die 1986 mit dem Nobelpreis für Physik gewürdigt wurde, ist die Grundlage, auf der Leo Gross und sein Team die Rastermikroskopie weiterentwickeln.
Nutzung der Rasterkraftmikroskopie für Durchbrüche in der Chemie
Neben der Weiterentwicklung seines Rasterkraftmikroskops ist auch dessen innovative Nutzung ein wichtiger Beitrag von Gross. Durch die Funktionalisierung der Spitze des Mikroskops mit einem einzigen Kohlenmonoxid-Molekül und den Betrieb bei einer ultratiefen Temperatur von 5 Kelvin gelang es ihm, einzelne Moleküle auf atomarer Ebene zu visualisieren. Diese Technik ermöglicht es, chemische Bindungen nicht nur sichtbar zu machen, sondern sie auch zu manipulieren, indem Bindungen innerhalb einzelner Moleküle geformt und gebrochen werden. Darüber hinaus erlaubt das Verfahren von Leo Gross dank der Präzision seiner Rasterkraftmikroskop-Technik die Identifikation selbst kleinster Unterschiede in der Bindungslänge – und damit ein besseres Verständnis von Molekülstrukturen.
Leo Gross hat sich atomare Manipulation und Rasterkraftmikroskopie zunutze gemacht, um chemische Reaktionen zu untersuchen. Durch das Anlegen von Spannungspulsen an die Spitze konnte er erfolgreich chemische Reaktionen auf atomarer Ebene auslösen und so Moleküle synthetisieren, deren Synthese und Untersuchung aufgrund ihrer Instabilität in der Vergangenheit schwierig oder unmöglich war.
Vor allem seine Synthese der Moleküle Triangulen und Cyclocarbon war dabei bahnbrechend. Dabei gelang es einem Team von Wissenschaftlern der Universität Oxford und IBM Research erstmals, einen Ring aus 18 Kohlenstoffatomen, den so genannten Cyclo[18]-Kohlenstoff, zu stabilisieren und abzubilden. Mit Hilfe atomarer Manipulation erzeugten die Forscher Cyclo[18]-Kohlenstoff auf einer inerten Oberfläche bei niedrigen Temperaturen und untersuchten seine Struktur mittels Rasterkraftmikroskopie. Dieser Durchbruch demonstrierte nicht nur die Synthese von Cyclo[18]-Kohlenstoff, sondern legt auch den Grundstein für die Schaffung weiterer neuer Allotrope des Kohlenstoffs und größerer kohlenstoffreicher Strukturen.
Interdisziplinäre Durchbrüche
Die Forschungen von Leo Gross erstrecken sich auch auf geladene Moleküle sowie dessen Ladungsverteilung und Ladungstransfer in molekularen Systemen. Durch seine Weiterentwicklung des Rasterkraftmikroskops zeigte er, dass sich einzelne Elektronenladungen mit atomarer räumlicher Auflösung abbilden lassen. Dieser Durchbruch erleichtert die Untersuchung von Ladungsverteilungen und -transfers in molekularen Systemen.
Der Einsatz seiner Methode zur molekularen Strukturaufklärung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Forschern verhalfen Leo Gross zu Erkenntnissen in unterschiedlichen Bereichen, etwa über die Zusammensetzung von beginnendem Ruß und die Pyrolyse von Brennstoffen. Er half bei der Entdeckung neuer Stoffwechselprodukte und setzte gemeinsam mit NASA-Forschern die von ihm entwickelte ultrahochauflösende Rasterkraftmikroskopie erstmals ein, um meteoritisches organisches Material zu untersuchen. Die Technik erlaubte es den Forschern, erstmals einzelne organische Moleküle aus Meteoriten atomar abzubilden.
Vielseitige Einsatzmöglichkeiten
Die praktischen Anwendungsmöglichkeiten für die Grundlagenforschung von Leo Gross sind weitreichend. Seine Arbeit bietet vielversprechende Lösungsansätze für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen, wie z. B. die Entwicklung sauberer Verbrennungsmethoden. Auch die Arzneimittelforschung und die Implementierung nachhaltiger Prozesse innerhalb der chemischen Industrie könnten von seinen Ergebnissen profitieren.
Die jüngste Auszeichnung von Leo Gross bei der Falling Walls-Konferenz in Berlin, bei der er in der Kategorie Naturwissenschaften geehrt wurde, unterstreicht die Bedeutung seiner Beiträge zur Oberflächenwissenschaft und Chemie und ist einer der renommierten Preise, die er für seine Arbeit bereits erhalten hat, darunter der Gerhard-Ertl Young Investigator Award und – zusammen mit Gerhard Meyer und Jascha Repp – der Feynman-Preis für Nanotechnologie, eine Auszeichnung, die vom Foresight Institute für bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiet verliehen wird.
Leo Gross erforscht weiterhin die Feinheiten der Einzelmolekülchemie durch die Manipulation von Atomen und bleibt damit treibende Kraft bei der Erweiterung des Verständnisses der atomaren Welt und ihrer potenziellen Auswirkungen auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen sowie Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft.