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Wie lässt sich künftig die Versorgungssicherheit in einem verflochtenen Energiesystem mit Millionen von Einflussgrößen gewährleisten? Dieser Frage gehen Fraunhofer-Forschende mithilfe von...
Wie lässt sich künftig die Versorgungssicherheit in einem verflochtenen Energiesystem mit Millionen von Einflussgrößen gewährleisten? Dieser Frage gehen Fraunhofer-Forschende mithilfe von Quantencomputern nach.
Es sind aktuell laut Bundesnetzagentur 219 536 Kraftwerke im deutschen Stromnetz: große Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke genauso wie kleinere Wind- und Solaranlagen. Sie alle haben unterschiedliche Betriebseigenschaften, viele sind nicht beliebig auf Knopfdruck an- und abschaltbar oder müssen eine gewisse Zeit laufen. Wenn so viele so verschiedene Einzelerzeuger ihren Strom zu unterschiedlichen Zeiten ins Netz einspeisen, die Sonne scheint, aber der Wind nicht weht, Gas ausbleibt und aus unterschiedlichen Quellen kompensiert werden muss – dann wird es schnell unübersichtlich.
Auf der anderen Seite steht eine nur ungefähr planbare Nachfrage. Sie zeitgenau abzubilden, ist kaum möglich. Und dennoch muss sie kosteneffizient zu jeder Zeit gedeckt werden. Nicht zu vergessen, dass in Stromleitungen stets eine gewisse Mindestspannung aufrechterhalten werden muss. Kurz: Der deutsche Energiemarkt ist maximal komplex. Um darin Angebot und Nachfrage zu möglichst geringen Kosten und stundengenau auszutarieren, müsste man viele Millionen einzelner Parameter und Variablen berücksichtigen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren wird in einem so genannten Fundamentalmodell abgebildet. Dies zu berechnen ist jedoch vor allem wegen des zunehmenden Anteils der so unvorhersehbaren wie volatilen Erneuerbaren Energien zu einer riesigen Herausforderung geworden.
Zu groß für Superrechner
Da heute selbst die leistungsfähigsten Superrechner nicht das gesamte Energienetz simulieren könnten, werden Energieerzeuger in einzelnen Einheiten oder Regionen geclustert. Diese Cluster werden separat betrachtet und bei Bedarf auf einer höheren Ebene miteinander korreliert. Zusammen mit Prognosemodellen zu Lastkurven und dem Wetterbericht lassen sich so Strombedarf und -angebot bis zu einem gewissen Grad vorhersagen. Für Pascal Halffmann vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM ist da noch viel Luft nach oben: „Durch die ständig zunehmende Komplexität des Systems hat selbst eine geringfügig bessere Berechnung dieses Fundamentalmodells ein riesiges Potenzial für Kosteneinsparungen“, ist er überzeugt. Deshalb erforschen er und sein Team zusammen mit Partnern im Projekt „EnerQuant“, wie Quantencomputer helfen könnten, das Energiemodell zu optimieren.
Warum Quantencomputer? „Wir haben hier ein klassisches Optimierungsproblem zu lösen“, erklärt der Mathematiker. „Unsere Hoffnung ist, dass es die Überlagerung von Zuständen in der so genannten Superposition der Qubits, also den Informationseinheiten von Quantenrechnern erlaubt, verschiedene Parameter des Fundamentalmodells zu berechnen. Dadurch könnten wir womöglich diese riesigen Lösungsräume sehr viel schneller nach dem Optimum durchsuchen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Quantensysteme per se stochastisch, also auf Wahrscheinlichkeiten ausgelegt sind und somit eventuell besser die Unsicherheiten im Energiemodell abbilden können als bisherige Systeme.“Ein weiterer Vorteil ist, dass Quantensysteme per se stochastisch, also auf Wahrscheinlichkeiten ausgelegt sind und somit eventuell besser die Unsicherheiten im Energiemodell abbilden können als bisherige Systeme.“
Vom Qubit zum Qudit
Dazu testen Halffmann und seine Kolleginnen und Kollegen ein vereinfachtes Fundamentalmodell auf gleich mehreren Systemen. Neben einem IBM Quantum System One mit 27 Qubits, der Fraunhofer und Partnern im baden-württembergischen Ehningen exklusiv zur Verfügung steht, und weiteren IBM-Systemen in den USA führen sie ihre Berechnungen auf einem D-Wave Quantum Annealer aus, der sich aber nur für ganz bestimmte Optimierungsaufgaben eignet. In Kürze soll zudem ein von der Universität Heidelberg entwickelter Quantensimulator auf Basis von ultrakalten Atomen hinzukommen, der mit sogenannten Qudits rechnet. Im Vergleich zu Qubits, die alle Zustände zwischen 0 und 1 annehmen können, kann ein Qudit etwa die Werte 0, 1, 2, 3, 4 und mehr sowie alle Überlagerungen dazwischen abbilden. So lassen sich mehr Daten mit weniger Informationseinheiten verarbeiten. „Das Benchmarking verschiedener Quantenrechner, aber auch der Vergleich zu klassischen Computern, ist neben der Modellierung ein wichtiges Ziel in unserem Projekt“, betont Halffmann.
Der Haken an der Arbeit mit Quantencomputern ist momentan noch, dass heutige Systeme schlichtweg nicht so viele Qubits mit einem so hohen Vernetzungsgrad bieten, wie man sie für die Abbildung komplexer Modelle bräuchte. Also musste das Forscherteam umdenken und formulierte das Modell von vornherein mathematisch so um, dass möglichst wenig Qubits und Vernetzung untereinander nötig sind. „Das funktionierte so gut, dass wir die Übertragung unseres virtuellen Modells auf die physischen Qubits signifikant verbessern konnten“, freut sich der Mathematiker. Damit ist eine Grundlage für weitere Forschungsschritte gelegt. Bis zur praktischen Anwendung sind davon noch viele zu gehen – und wie bei kaum einem anderen Thema sind dabei gute Weggefährten wichtig, wie die „EnerQuant“-Partner wissen: Während sich das Fraunhofer ITWM zusammen mit dem Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST des Schwesterinstituts Fraunhofer IOSB um die Modellierung kümmert, steuert die Universität Heidelberg den Prototypen des Quantensimulators bei. Das Start-Up JoS QUANTUM GmbH entwickelt die Algorithmik weiter und stellt die Software-Plattform, in die die gemeinsamen Ergebnisse einfließen. So stehen sie nach Projektende auch der Industrie zur Verfügung und leisten dann hoffentlich ihren Beitrag zur zukünftigen Versorgungssicherheit in Deutschland.
https://www.fraunhofer.de/s/ePaper/Magazin/2022/03/index.html#66
Die Forschenden vom Fraunhofer IOSB-AST beleuchten im Projekt EnerQuant noch einen weiteren Use Case: Sie entwickeln ein Modell, wie die E-Fahrzeugflotte eines kleineren Flughafens unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren mit möglichst viel selbst erzeugtem Sonnenstrom geladen werden kann. Mehr dazu im Podcast: https://www.fraunhofer.de/de/mediathek/podcasts/podcasts-2022/e-autos-schlauer-laden-durch-quantencomputer.html