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Mitte Februar diskutierten KI-Expertin Patricia Neumann, IBM, Detlev Klage, Finanz Informatik und Christoph Gum von Private Alpha über den Einsatz von KI in der Finanzindustrie. Moderator Stephan Dö
Mitte Februar diskutierten KI-Expertin Patricia Neumann, IBM, Detlev Klage, Finanz Informatik und Christoph Gum von Private Alpha über den Einsatz von KI in der Finanzindustrie. Moderator Stephan Dörner erörterte mit den Teilnehmern, wo KI heute schon genutzt wird, was die ethischen Grenzen sind, welche Herausforderungen die Praxis mit sich bringt und wirft einen Blick in die Zukunft des Bankings mit KI.
Während die Welt sich dem Thema KI gerade erst im Dialog mit ChatGPT annähert, sieht die Realität in vielen Finanzinstituten schon anders aus. Stephan Dörner, Mitgründer und Geschäftsführer der Impact-Tech-Kommunikationsberatung fph; ehemaliger Chefredakteur t3n, eröffnete die Diskussion mit der Frage, wo man als Bankkunde heute schon KI begegnet.
KI ist längst in der Finanzwelt angekommen
Detlev Klage, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der Finanz Informatik, deren Kunden unter anderem die rund 360 deutschen Sparkassen sind, erklärte: „Wir nutzen KI heute schon auf drei Ebenen: im Hintergrund, um Prozesse effizienter zu gestalten; als Unterstützung für die IT-Sicherheit und in bestimmten Kundenanwendungen. Wer beispielsweise eine Fotoüberweisung via Banking-App tätigt, profitiert von den Fähigkeiten eines KI-Modells, Bildinhalte wie Rechnungsdaten zu analysieren und diese korrekt in die Überweisungsmaske zu übertragen.“
Christoph Gum, CEO und Gründer der Private Alpha Switzerland AG, setzt ebenfalls schon seit mehreren Jahren auf KI: „Private Alpha entwickelt KI-optimierte Anlagestrategien für die Finanzmärkte. Unsere Kunden sind Experten und Analysten, die sich mit Hilfe der Plattform Caesar informieren und die KI-gestützten Analysen als Entscheidungsgrundlage nutzen.“
Dies ist einer der Kernpunkte beim Einsatz von KI. Das bestätigte auch Patricia Neumann, VP EMEA, Data, AI and Automation Leader von IBM: „Eine KI soll nicht ersetzen, sie soll unterstützen. Für uns heißt es immer Mensch und Maschine. Dank der Informationen aus einer KI können Menschen bessere Entscheidungen treffen.“
Wie lange dauert die Implementierung einer KI? Neumann betonte: „Es gibt keine allgemeine Lösung, wir definieren immer gemeinsam mit unseren Kunden den Use Case. Erst wenn wir den Zweck, den die KI erfüllen soll, festgelegt haben, geht es ans Programmieren. Die sogenannte ‚Co-Creation‘ ist enorm wichtig, da wir hier die Basis für den Erfolg der späteren Lösung legen. Einen Prototyp können wir dann binnen weniger Wochen entwickeln.“ Klage führte den Gedanken aus Sicht des IT-Dienstleister weiter: „Haben wir den Prototyp ausreichend getestet, startet der Rollout. Hier können schon mal mehrere Monate vergehen, bis alles abgeschlossen ist. Nicht zuletzt, weil wir in einem streng regulierten Markt mit großen Kunden sind agieren.“
Mensch und Maschine im Einklang
Wird die KI uns ersetzen? Diese Frage von Dörner beantworteten alle drei Teilnehmenden mit einem klaren Nein und lieferten dazu unterschiedliche Argumente:
Gum: „Unsere Plattform lässt sich im Grunde mit ChatGPT vergleichen. Sie gibt unserem Team von Private Bankern und Finanzanalysten eine bessere Sicht auf die Masse von Finanzdaten. Sie dient dazu, unsere Spezialisten noch besser zu machen und soll sie nicht ersetzen.“
Auch Klage hob das hervor: „Die KI ist ein Assistenzsystem, mit dem der Mensch Informationen erhält; es soll die Ressource Mensch entlasten. So übernimmt ein Chatbot die Antwort auf Standardfragen und ein KI-basiertes IT-Sicherheitssystem erkennt in riesigen Datenmengen Anomalien, die sich dann ein menschlicher Spezialist gezielt ansieht.“
Neumann ergänzte: „Die KI befähigt den Menschen besser zu sein, effizientere und schnellere Entscheidungen zu treffen. Früher ging es vor allem um Fragen der Effizienz und Kostenreduktion, heute erleben wir, dass die Kunden eher danach streben, mit dem Einsatz von KI Innovationen zu fördern, die Kundenansprache zu verbessern und eine Vielzahl von unstrukturierten Daten zu verarbeiten. Die französische Bank Credit Mutuel ist hier ein gutes Beispiel.“ Dort wurde Watson geschult, um Kundenberater dabei zu unterstützen, die Kunden schnell und umfassend über eine Reihe von Angeboten zu informieren, von Kfz- und Wohngebäudeversicherungen bis hin zu einer Reihe von Spar- und Anlageprodukten.
Ethische Fragen und Transparenz berücksichtigen
Immer wieder hört man von Fällen, in denen ein KI-basiertes Tool einem Vorurteil folgte und es zu Verzerrungen kam. Wie geht man also im Finanzsektor mit ethischen Fragen um? Neumann: „Die IBM hat einen KI-Ethikrat. Er dient als Grundstein für die ethische Entwicklung und dem Einsatz von KI-Systemen. Der Rat prüft jedes Projekt und ordnet im Zweifel auch Änderungen an. Zudem haben wir Tools, die Verzerrungen im Algorithmus erkennen und minimieren.“ Ein weiterer Faktor ist aus Sicht von Neumann die Transparenz. So soll der Anwender stets nachvollziehen können, warum eine KI eine bestimmte Empfehlung abgibt. Das erleichtert dann die Entscheidung.
Das bestätigte auch Klage und skizzierte: „Heute fallen täglich Millionen von digitalen Transaktionen an, unter denen auch immer wieder solche mit betrügerischem Hintergrund sind. Bei den rund 360 Sparkassen gibt es daher Mitarbeitende, die sich um erforderliche Betrugspräventionen kümmern. Seit einiger Zeit testen wir eine KI-basierte Lösung, um die bestehende Betrugspräventionstools bei den Sparkassen zu ergänzen. Stuft das System eine Transaktion als auffällig ein, prüft das KI-System im Anschluss erneut. Es bewertet anhand historischer Daten und basierend auf allen technischen Merkmalen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Transaktion betrügerisch ist. Die Indikatoren, die besonders risikoreich oder -arm für eine als verdächtig erkannte Transaktion sind, werden den Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen im Frontend angezeigt. So erhalten sie eine KI-gestützte, aber sehr transparente Entscheidungsgrundlage und -hilfe.“
Gum beschrieb, warum der Mensch am Ende der entscheidende Faktor ist: „Nach fast fünf Jahren am Markt und Erfahrung mit KI-Tools haben wir unsere KI-optimierte Analyseplattform Caesar am Markt etabliert, welche bereits von namhaften Vermögensverwaltern und Banken eingesetzt wird. Der stetig wachsende Informationsfluss verlangt nach intelligenten Systemen zur Datenauswertung. Schon jetzt ist ersichtlich, dass KI-Systeme in der Lage sind, Daten differenziert auszuwerten, neue Muster zu erkennen und damit einen Mehrwert zu generieren, um die Mitarbeiter, die sie anwenden besser zu machen.“
Mensch und Maschine im Einklang – auch in Zukunft?
Aus heutiger Sicht ist also klar: Mensch und Maschine arbeiten Hand in Hand, der Mensch hat das letzte Wort. „Sind denn künftig auch andere Szenarien denkbar?“, hakte Dörner nach.
Neumann ist sich sicher, dass es künftig Prozesse wie SAP-Buchungen geben wird, bei denen der Mensch der Maschine die Entscheidung überlassen wird. Hier spielt der Kontext eine große Rolle: So sind Bereiche wie Kundenmanagement, IT-Management oder komplexe Reportings wie ESG-Daten usw. – also eher technische Anwendungsgebiete – heute schon sehr viel automatisierter als sensible Felder wie die Medizin. Die gesellschaftlichen Fragen – will man KI hier überhaupt entscheiden lassen – sind hier nicht so eindeutig zu beantworten.
Klage warf ein: „An dieser Stelle geht es auch um einen ganz technischen Aspekt. Wo hört strukturiertes Programmieren auf, wo fängt maschinelles Lernen an? Jeder, der schon mal eine IF-ELSE-Codezeile getippt hat, weiß, dass die Grenzen hier fließend sind. Das Beispiel mit der Betrugsprävention zeigt, dass wir hier eher von einer Art Schieberegler sprechen könnten. Je nach Anwendung ist mal mehr, mal weniger KI möglich, sinnvoll und gewünscht. Und das ist – gerade, wenn man neue KI-Lösungen testet – auch gut so.“
Herausforderungen in der Praxis
Bei der Anwendung von KI im Finanzsektor kommt es auch immer wieder zu Herausforderungen.
Klage beschrieb die sprachlichen Dialekte in den einzelnen Sparkassenregionen mitunter als Herausforderung: „Nutzt ein Kunde mit bayerischem Dialekt den Sparkassen-Chatbot, lernt das System, seinen Dialekt zu verstehen. Der Sparkassen-Chatbot muss aber auch in anderen Regionen den Kunden verstehen und die gleiche abgestimmte Leistung erbringen können. Die Herausforderung besteht somit im Regionen-übergreifendem Training der KI bzw. des Chatbots.“
Auch Gum konnte ein Beispiel aus der Praxis nennen: „Üblicherweise verursachen Ankündigungen der US-Notenbank eine Bewegung an den Finanzmärkten. Diesen Zusammenhang erkennt die KI mit der Zeit völlig richtig. Aber sie geht dann eventuell davon aus, dass alle Notenbank-Ankündigungen einen Ausschlag verursachen und stuft dementsprechend auch Ankündigungen z.B. der russischen Nationalbank als bedeutend ein. Hier ist wieder der Spezialist aus Fleisch und Blut gefordert, der dem System klare Leitlinien geben muss.“
Binnen der letzten fünf Jahre habe sich die Anwendung von KI deutlich verändert, so Neumann. „Die Anwendungsfälle haben sich verdoppelt – sie reichen heute von Betrugsprävention über Kundenservice und -kommunikation bis hin zu IT-Management im Hintergrund. Neben dem Menschen, der entlastet und unterstützt wird, steht immer der Zweck der KI im Mittelpunkt. Nur wenn ich den anfangs definiert habe, kann am Ende eine hilfreiche Lösung entstehen.“
Ausblick: KI als Baustein der Moderne
„Wo stehen wir in fünf Jahren, wie wird sich KI und deren Nutzung im Finanzbereich entwickeln?“, wollte Dörner abschließend von den Teilnehmern wissen.
Gum hob die Bedeutung der politischen Rahmenbedingungen hervor: „Schon in den 1980er Jahren hat der automatisierte Handel voll Einzug gehalten. Damals war die Angst groß, dass der Computer den Finanzanalysten ersetzen wird. Heute wissen wir: es sind im Gegenteil viele neue Arbeitsplätze entstanden und mit KI werden nochmals zusätzliche entstehen. Es geht nicht darum, jemanden wegzurationalisieren, sondern darum effizienter zu werden. Die Datenmenge, aus der wir Informationen extrahieren, ist schon lange nicht mehr allein durch Menschen zu bewältigen. Trotzdem werden Fachkräfte in hohem Maße für deren Aufbau benötigt, was uns momentan vor große Probleme stellt. Daher sollte die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die die Entwicklung von KI-Tools und Know-how hierzulande fördert.“
Betrachtet man den Willen, KI zu nutzen, liegt Deutschland laut IBM AI Adoption Index im Mittelfeld. „Dass wir hier im Vergleich zu den Amerikanern etwas langsamer sind, hängt auch mit der Regulierung zusammen“, so Neumann. „Aber der Datenschutz sollte gewährleistet werden und ich finde die Balance hierzulande gut – trotzdem muss Ausprobieren erlaubt sein.“ Damit unterstrich sie Gums Forderung nach besseren Rahmenbedingungen. Erneut betonte sie, dass der Spezialist im Mittelpunkt steht – bisher verbringt er bis zu 30 % seiner Arbeitszeit mit Suchen von Informationen – hier kann KI in den kommenden Jahren viel leisten.
Klage fasste zusammen: „Die jüngsten Entwicklungen rund um ortsunabhängiges Arbeiten erfordern effizientere Prozesse. Hier kann KI eine Lösung sein. Auch die Verarbeitung der zur Verfügung stehenden Daten ist ein großes Einsatzfeld. Da wir prinzipiell über viele Daten verfügen, stehen wir vor einer überaus spannenden Zukunft.“
Dieser Artikel erschien zu erst bei gi Geldinstitute