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Justiz im Aufbruch: Am Anfang steht immer eine kreative Idee
By | Client Engineering Business Technology Leader
December 13, 2022

Die digitale Transformation erfasst alle Arbeitsbereiche. „Man erwartet auch von der Justiz, dass sie sich der digitalen Welt anpasst“, so eine Aussage in der IBM-Führungskräftebefragung zum...

Von Larissa Jourdan (larissa.jourdan@ibm.com) und Eckard Schindler (schindler@de.ibm.com)

Die digitale Transformation erfasst alle Arbeitsbereiche. „Man erwartet auch von der Justiz, dass sie sich der digitalen Welt anpasst“, so eine Aussage in der IBM-Führungskräftebefragung zum Digitalisierungsstand in der Justiz. Doch wie den Prozess der Veränderung beginnen? Der Richterbund Hessen hat in diesem Jahr erstmalig den eJustice Cup Hessen ins Leben gerufen, um mit Ideen der Beschäftigten die Gerichte fit für die digitale Zukunft zu machen. Und da der Wert der Ideen in ihrer Nutzung liegt, hat IBM die Partnerschaft am eJustice-Cup übernommen, um mit dem Client Engineering (CE) Team die beste Idee umzusetzen.

Die Justiz ist immer noch ein sehr papierlastiger Bereich der öffentlichen Hand. Die Einführung der elektronischen Akte bis 2026 ist zwar beschlossen, steht aber in vielen Gerichten noch am Anfang. Für die meisten Staatsanwälte und Richter heißt es weiterhin, umfangseitige Schriftsätze studieren und Akten schleppen. Doch der Einfluss und die Verfügbarkeit von Informationstechnologie (IT) entwickeln sich dynamisch. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) nimmt auch in juristischen Bereichen unter dem Stichwort „Legal Tech“ rasant zu. Insbesondere in den sogenannten Massenverfahren (z.B. Fluggastverspätungen, Diesel) sehen sich Richter_Innen tausendfach hochautomatisiert erstellten, umfangreichen Schriftsätzen der Anwaltschaft gegenüber. „Wir brauchen Waffengleichheit mit den Legal-Tech-Anbietern“, so die Richterschaft.

Für den Richterbund Hessen war dies das geeignete Umfeld, um unter der Schirmherrschaft des Hessischen Justizministeriums einen Ideenwettbewerb für Beschäftigte der Justiz auszurufen. Gesucht wurden Vorschläge zum Einsatz von IT und KI in allen Bereichen des justiziellen Alltags. Diese sollten darauf abzielen, Arbeitsprozesse zu erleichtern und attraktiver zu machen oder Ergebnisse zu beschleunigen oder zu verbessen. Neben den Beschäftigten der Justiz waren auch Anwaltschaft, Wissenschaft oder Start-Ups aufgerufen, sich mit Ideen zu beteiligen.

Ende November fand im Beisein des Justizministers Dr. Roman Poseck die feierliche Verkündung der Sieger des Wettbewerbs statt. Nach drei Monaten Einreichungszeit waren mehr als 60 Vorschläge eingegangen. Eine interdisziplinäre Bewertungskommission, bestehend aus Expertinnen und Experten aus Rechtspraxis, Wissenschaft und der IBM, hatte die Vorschläge zuvor einer Bewertung unterzogen. Das Themenspektrum der Vorschläge war vielfältig und doch gab es Schwerpunkte im Umgang mit Schriftsätzen, in der Automatisierung der Bearbeitung und im Austausch von Wissen verstärkt auf Digitalisierung zu setzen.

Digitalisierungsvorteile erhofft man sich beispielsweise bei der „Akten-Erschließung“, d.h. dem ersten Schritt der Bearbeitung von Schriftsätzen, indem sich Richter_Innen einen Überblick verschaffen. Es sind Vorschläge wie „Synopsen gleichartiger Schriftsätze erstellen“, „Akten sinnvoll zu durchsuchen“ oder das „Dashboard zur Darstellung von Täterdaten“.

Auch auf die Automatisierung während der Fallbearbeitung richten sich Vorschläge aus der Richterschaft. Dies betrifft die zeitraubende Terminabstimmung zwischen den Parteien für Verhandlungen, wo man sich die Einfachheit von „Doodle“ wünscht. Oder die Vorschläge richten sich z.B. auf die „Vorab-Prüfungen der Zulässigkeit eingelegter Rechtsbehelfe“ einen elektronischen Verfahrensassistenten namens „EVA“, der Richter_Innen bei der formalen Prüfung von Schriftsätzen auf Fehler oder Vollständigkeit intelligent unterstützt.

Einen hohen Stellenwert hat auch das Thema Wissensmanagement. Junge Rechtsreferendare_Innen stellen fest, dass manch wichtiges Praxiswissen an einzelnen Personen hängt und kaum über Wissens- oder Lernplattformen angeboten wird. Hier sieht man ein hohes Potential für eine „hessenweite E-Learning Plattform“.

Viele Ideen setzen auf die Unterstützung durch KI. Das dies die richtige Wegstrecke ist, zeigt sich im Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, wo jetzt ein Massenverfahrensassistent in den Pilotbetrieb ging, der von IBM Expert Labs gemeinsam mit dem auf den Public Sector spezialisierten IBM CE Team entwickelt wurde. Am OLG sind vier Senate mit der Bearbeitung von Berufungsverfahren im Kontext des Abgasskandals beschäftigt. Die individuelle Bearbeitung dieser Verfahren bedeutet für die Richter einen enormen Leseaufwand der oft langen Schriftsätze in den elektronischen Akten. Das bindet nicht nur auf Jahre hinaus Kapazitäten, sondern sorgt auch aufgrund der nicht abreißenden Flut von eingehenden Berufungen in vielen gleichgelagerten Fällen für Unzufriedenheit und Frust bei den Bearbeitern. Die auf Basis von IBM Watson Discovery entwickelte Lösung ist in der Lage, relevante Parameter aus umfangreichen Schriftsätzen zu extrahieren und diese bestimmten Beschlusstypen zuzuordnen. So kann der Arbeitsaufwand um bis zu 50% verkürzt werden und sich die Richterschaft höherwertigen Aufgaben zuwenden.

Dies Beispiel zeigt die Praxistauglichkeit vieler kreativer Ideen gut auf. Zum ersten Sieger des eJustice-Cups ist letztlich der Vorschlag des Richters Prof. Dr. Simon Heetkamp für „EVA – der Elektronischen Verfahrens Assistenz“ gekürt worden. Das IBM CE Team wird den Siegervorschlag in einem sogenannten Garage-Projekt als Prototypen umsetzen. Die IBM Garage ist eine Innovationsmethode und ein Modell der Zusammenarbeit mit Kunden, Partnern und IBM Experten, um mit neuen Technologien zu experimentieren und neue Services und Produkte zu entwickeln.

Neben dem Sieger gibt es noch einen Gewinner: Die Justiz als Ganzes. Ideen für den Weg der Justiz ins digitale Zeitalter sind vorhanden, jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Let’s create

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