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Künstliche Intelligenz in der Justiz – wird GenAI ein echter Gamechanger?
By | Direktor Öffentlicher Sektor, Global Government Industry
February 01, 2024

Künstliche Intelligenz (KI) sorgt schon heute in vielen Arbeitsbereichen für effizientere Abläufe – auch in der Justiz. Mit ihrer Fähigkeit natürliche Sprache zu verstehen, unterstützen KI-Lö

Künstliche Intelligenz (KI) sorgt schon heute in vielen Arbeitsbereichen für effizientere Abläufe – auch in der Justiz. Mit ihrer Fähigkeit natürliche Sprache zu verstehen, unterstützen KI-Lösungen Richter_innen aktuell bei der Analyse und Erstellung von Texten. Mit generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) erhöht sich das Potential dieser Technologie noch einmal deutlich. Sie greift zum Beispiel nicht nur auf vorhandene Informationen oder vorgefertigte Textbausteine zurück, sondern ist in der Lage, neue Inhalte zu generieren.

Die Digitalisierung unseres Rechtssystems hört nicht mit der eAkte und Videoverhandlungen in den Gerichten auf. Sie muss vorangetrieben werden, um in einer digitalen Gesellschaft Schritt zu halten. Und dabei geht es nicht nur darum moderne Technologien einzusetzen, um die Arbeit der Justiz zu vereinfachen und zu beschleunigen. Denn eines gilt: der Mensch steht im Mittelpunkt und ist derjenige, der die technische Entwicklung vorantreibt.

Dass die Digitalisierung der Justiz gerade erst begonnen hat, ist den Beteiligten klar. Das zeigte auch eine deutschlandweite Studie die IBM 2022 durchführte und dafür Führungskräfte aus der Richterschaft befragte. Sie zeigt die Betätigungsfelder auf, die wichtig sind, damit die Justiz nicht den Anschluss an eine digitale Gesellschaft verliert. Dazu gehört der flächendeckende Einsatz der eAkte, eine zeitgemäße digitale Ausstattung der Gerichte, aber auch die Nutzung der Potentiale von KI. Dass KI die Justiz verändern wird, zeigt auch das Update der Studie, die fragt, ob KI ein Gamechanger ist? Fast die Hälfte der befragten Führungs-persönlichkeiten erwarten, dass der Einsatz von KI die Justiz auf längere Sicht wesentlich verändern wird.

Inzwischen, ein Jahr nach der Studie, hat sich bereits Einiges getan, nicht zuletzt durch die Diskussion rund um generative KI wie ChatGPT. Sie hat dazu geführt, dass der allgemeine Druck um die Nachfrage nach KI-Lösungen gestiegen ist – auch aus den Reihen der Richter_innen. Im Rahmen der Digitalisierungsinitiative der Justiz hat der Bund für 2023 allein 50 Millionen Euro für innovative Projekte bereitgestellt und weitere Mittel werden in den kommenden fünf Jahren fließen. Etliche Projekte rund um den Einsatz von KI im Allgemeinen und generativer KI im Speziellen sind bereits gestartet.

 

Eckard Schindler, Direktor Öffentlicher Sektor, Global Government Industry zu 'Künstlicher Intelligenz in der Justiz'

 

Der Status Quo – so läuft das Team Mensch und Maschine

Die Justiz liegt im Vergleich zu anderen Verwaltungsressorts in Deutschland beim Einsatz von KI vorne. Ein Grund dafür ist das Verständnis der Verantwortlichen für die Möglichkeiten, die KI in der richterlichen Praxis bietet. Denn dort üben Legal Tech-Dienste mit hoch automatisiert prozessierten Massenverfahren Druck auf die Gerichte aus. Hier gilt es, eine gewisse „Waffengleichheit“ zu erreichen, um einer weiteren Überlastung der Gerichte entgegenzuwirken. Das überzeugendste Argument für den Einsatz von KI-Lösungen in der Justiz liegt aber in dem praktischen Nutzen, der sich im Einsatz bei den Gerichten bereits gezeigt hat. Das sind zum Beispiel Lösungen wie:

  • OLGA – Das Oberlandesgericht Stuttgart ist Namensgeber und Einsatzgebiet dieser KI-gestützten Fallkategorisierung. OLGA unterstützt die Richter_innen bei den abertausenden anhängigen Diesel-Massenverfahren, in dem sie ähnlich gelagerte Fälle kategorisiert, die dann einer gemeinsamen Bearbeitung zugeführt werden können. Die inhaltlich sehr ähnlichen und oft mehr als 100 Seiten langen Schriftsätze führen zu stark repetitiven Tätigkeiten, von denen OLGA die Richterschaft entlasten kann. Auf diese Weise konnte der zeitliche Aufwand für die Bearbeitung der Verfahren bereits um rund die Hälfte reduziert werden.
  • FRAUKE (Frankfurter Urteils-Konfigurator Elektronisch) – Zwischen 10.000 und 15.000 Verfahren zu Fluggastrechten landen jedes Jahr beim Amtsgericht Frankfurt. Mit den dortigen Richter_innen hat IBM eine Lösung entwickelt, die wesentliche Informationen aus den Gerichtsakten, wie zum Beispiel Flugnummer, Verspätung etc. herausfiltert. Wird eine Klage etwa aufgrund von Wetterereignissen abgelehnt, nutzt FRAUKE passende Textbausteine und fügt sie mit den relevanten Falldaten zu einem Textentwurf für ein Urteil zusammen.
  • JANO (Justiz-Anonymisierung) – In Deutschland besteht für die Gerichte eine grundsätzliche Veröffentlichungspflicht der Entscheidungen. Veröffentlicht werden dürfen die Dokumente dabei allerdings nur anonymisiert, was bislang mühsam manuell geschieht. Mit JANO haben Entwickler_innen von IBM gemeinsam mit Vertreter_innen der Justiz aus Hessen und Baden-Württemberg eine Lösung zur Anonymisierung von Dokumenten entwickelt. JANO erkennt automatisch personenbezogene Daten und ersetzt sie durch geeignete Pseudonyme.

Der Faktor Mensch

Lösungen wie diese entstehen in enger Zusammenarbeit zwischen den Technologie-Experten_innen und den Anwender_innen, hier der Richterschaft. Die Basis aller Lösungen sind IBM watsonx Technologien, welche die Fähigkeit mitbringen natürliche Sprache zu verstehen. Wo Sprache, Dokumente und Texte der Rohstoff richterlicher Arbeit sind, erlaubt der Einsatz von KI die Kernarbeit der Justiz, sozusagen die Produktionsprozesse der Analyse, Erstellung und Archivierung von Texten vollends neu zu denken.

KI-Lösungen „von der Stange“ wird es allerdings in der Justiz nicht so bald geben, dazu sind die Anforderungen zu individuell. Sie können aber bis zu einem gewissen Grad standardisiert werden und lassen sich dann auf die jeweiligen individuellen Anforderungen anpassen. Zur Entwicklung der Lösungen nutzt IBM das sogenannte „Garagenmodell“. Dabei werden in gemeinsamen Workshops mit den IBM-Entwicklern_innen und den Anwender_innen zunächst die inhaltlichen und funktionalen Anforderungen an die jeweilige Lösung erarbeitet. Auch während der Umsetzung dieser Anforderungen sind sie in stetigem Austausch, um eine möglichst anwendergerechte Lösung zu gewährleisten. Im operativen Betrieb wird zudem das Feedback durch die Anwender_innen zur kontinuierlichen Verbesserung der Lösung genutzt.

Denn wichtig ist: jede Lösung ist nur so gut, soweit sie den Faktor Mensch berücksichtigt und zum Mittelpunkt der Strategie macht. Es geht nicht nur um Technologien und Algorithmen, sondern darum, die Anwender_innen bei der Entwicklung mitzunehmen. Sie im richtigen Umgang mit KI zu schulen, Prinzipien festzulegen und Wertvorstellungen voranzubringen – zusammengefasst eine Governance im Umgang mit KI festzulegen. Die KI- und Daten-Plattform watsonx liefert dazu mit watsonx.governance ein Toolkit, das Kunden unterstützt, Risiken zu erkennen und zu mindern, interne Richtlinien zu verwalten und ethische Fragen um den Einsatz von KI zu adressieren.

Wo geht die Reise hin?

Generative KI fügt den Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz eine weitere Dimension hinzu: Sie nutzt nicht nur bestehende Inhalte, sie generiert neue. Sie setzt auf LLMs (Large Language Modells) auf, tiefgreifende Lernmodelle, die auf Basis massiver Mengen von Textdaten trainiert wurden.

Die Assistenzfunktion von KI für die Richterschaft gewinnt durch generative KI noch stärker an Bedeutung. Die Anwender_innen könnten über „Frage-Antwort-Modelle“ Informationen aus Dokumenten abfragen oder der KI Anweisungen zur Vorformulierung von Texten geben. Der Einsatz ist grundsätzlich überall dort denkbar, wo Texte in der Justiz erstellt werden. Das Spektrum der Textproduktion ist dabei vielfältig und reicht von allgemeinen Mitteilungen über standardisierte Beschlüsse bis hin zu massenhaft ähnlichen oder hoch individuellen richterlichen Urteilen.

Inwieweit und zu welchem Zeitpunkt diese Potentiale genutzt werden können, hängt in starkem Maße von der Vertrauenswürdigkeit der Sprachmodelle und der eingesetzten Daten ab. Ein Sprachmodell, dass auch im Rechenzentrum der Kunden betrieben werden kann, und auf vorhandenen Daten der Justiz wie zum Beispiel Schriftsätze des Rechtsgebietes „Mieterklagen“ gezielt „fortgebildet“ wird, kann sehr bald ein wertvoller Assistent für die Richterschaft sein. IBM bietet mit watsonx eine Plattform, mit der Kunden diese Strategien verfolgen und umsetzen können.  

Künstliche Intelligenz wird den Menschen in der Justiz nicht ersetzen, sie wird aber die Art und Weise verändern, wie Justiz vom Menschen gemacht wird. Sie kann mit maßgeschneiderten Lösungen für mehr Transparenz, weniger Informationsdefizite und eine deutliche Entlastung der Gerichte sorgen, von der auch die Bürger_innen profitieren.  

 

Hier geht es zum Update der Studie.

 

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