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Luftbilder mit Computer Vision (KI) effektiver nutzen

In den letzten Jahren gab es massive Fortschritte in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Analyse von Bildern. Dieser allgemeine Trend hat dazu geführt, dass sich unser Kunde, das Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN), die Frage gestellt hat, ob man mithilfe von Künstlicher Intelligenz Luftbilder mit Katasterkarten abgleichen kann.

Katasterkarten: Napoleon stellte die Weichen vor rund 200 Jahren

Katasterkarten wurden in Deutschland – angeregt von der napoleonischen Idee der Grundsteuer – beginnend um 1820 in Westphalen und der Rheinprovinz eingeführt. Dies zog dann später die Einführung eines Grundbuchs (in Preußen um 1872 und im Rest Deutschlands um 1900) nach sich. Aufgrund dieser Vorgeschichte sind die Daten in den Katasterkarten unterschiedlich aktuell. Teilweise wurden die Daten vor 1900 erhoben, teilweise mit GPS, teilweise ohne. Teilweise wurden die Daten mehrfach kopiert und dann digitalisiert, teilweise wurden die Daten direkt digital erhoben. Als Ergebnis haben die Katasterkarten keine homogene Qualität. Aus diesem Grund besteht in den Flächenländern ein hoher Bedarf an einer Homogenisierung, d.h. eines Abgleichs der Katasterkarten mithilfe von Luftbildern. Auf diese Weise können die Katasterämter dann einerseits überbaute Gebäude oder Erweiterungen erkennen und andererseits ihre Karten korrigieren und so zukünftigen Bauherren mit verbesserten Web-Karten etwaige Verstöße direkt, einfach und schnell in der Planungsphase anzeigen.

Diese Homogenisierung sollte jetzt mithilfe von KI durchgeführt werden. Dazu hat uns der Kunde mit einem ersten Pilotprojekt beauftragt. In diesem Pilotprojekt wurde von einem Team aus LGLN und IBM Mitarbeitern mithilfe von Watson Machine Learning, weiteren IBM Cloud Komponenten sowie Open Source Frameworks ein vierstufiger Bearbeitungsprozess für Luftbilder erstellt:

  • erstens erfolgt ein Pre-Prozessing der Luftbilder mit Entzerrung und Georeferenzierung,
  • zweitens werden auf diesen Bildern alle relevanten Objekte, d.h. Gebäude, erkannt,
  • drittens werden die erkannten Objekte auf Details (z.B. den Umriss) analysiert, und
  • viertens werden die Details mit den Katasterkarten (d.h. fehlend auf Karte oder Luftbild oder Verschiebung zwischen Karte und Luftbild) abgeglichen.

Luftbilder analysieren: Objekterkennung und Umrisserkennung

Die zwei spannendsten Bestandteile dieses Prozesses sind die Objekterkennung und die Umrisserkennung. Wie man auf Bild 1 erkennen kann, erlaubt die Objekterkennung die Identifikation aller Gebäude auf dem Luftbild. Die Objekterkennung wurde dabei mithilfe von Deep Learning realisiert. D.h. dem System wird anhand von Beispielbildern beigebracht, was Gebäude sind. Die Möglichkeiten der sog. Computer Vision haben sich in der jüngsten Vergangenheit enorm verbessert – weitere KI-Entwicklungen finden Sie auch in diesem Blogpost.

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Von der Objekterkennung erkannte Gebäude

Im nächsten Schritt, der Umrisserkennung, wird dann der Umriss der Grundmauern anhand des Luftbildes ermittelt. Interessant dabei ist, dass das Dach üblicherweise über die Grundmauern
hinaus ragt. Entsprechend sieht man auf Bild 2 den Umriss der Grundmauern laut Katasterkarte in grün, den vom System ermittelten Grundriss in rot und den Überlapp, d.h. die Übereinstimmung zwischen dem Umriss der Grundmauern ermittelt aus dem Luftbild und dem Umriss laut Katasterkarte in Gelb. Auch die Umrisserkennung wurde mithilfe von Deep Learning realisiert. D.h. das System wurde trainiert mit Luftbildern nebst dazugehörigen Grundrissen.

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Von der Umrisserkennung erkannte Grundrisse

Hybrid-Cloud-Ansatz schützt Daten und ermöglicht schnelle Verarbeitung der Luftbilder

Die vorstellte Lösung wurde in der IBM Cloud erstellt. Dabei wurde jedoch darauf Wert gelegt, dass die Lösung jederzeit in eine lokale Implementation überführt werden kann. Dieser „Cloud First“-Ansatz, den Piloten in der Cloud zu beginnen und später lokal zu implementieren, war dabei ein entscheidendes Auswahlkriterium zugunsten der IBM. Dies setzt voraus, dass dieselben Tools/APIs/Methoden in der öffentlichen Cloud und im heimischen Rechenzentrum als Private Cloud genutzt werden können. Diese Nutzung verschiedener, z.B. öffentlicher und privater Clouds nennt man Hybrid Cloud. Der Hybrid-Cloud-Ansatz wird von der IBM unterstützt und vor allem in sicherheitsrelavanten Bereichen (Verwaltung, Banken, Versicherungen, Gesundheit) gerne genutzt. Ein weiterer Vorzug ist die hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit, Skalierbarkeit und Performanz der Lösung. Dadurch, dass schnelle Frameworks benutzt wurden, die Algorithmen stark getunt werden konnten (teilweise um mehr als einen Faktor 100 beschleunigt) und eine Parallelverarbeitung unterstützt wird, ist eine Verarbeitung aller Luftbilder eines Bundeslandes in kurzer Zeit möglich. Zum Vergleich: Ein menschlicher Katasteramts-Experte bräuchte 30 Jahre, um alle Gebäude in Niedersachsen zu erkennen, während die KI dafür nur 5 Tage bei moderatem Hardware-Einsatz benötigt.

Mithilfe dieses vierstufigen Prozesses wurden dann die Luftbilder mit den entsprechenden Katasterkarten in einzelnen Testgebieten verglichen. Dieser Vergleich war so überzeugend, dass der Kunde die IBM daraufhin mit einer Erweiterung des Projektes auf ganz Niedersachsen beauftragt hat. Der weitere Ausbau beinhaltet u.a. die zusätzliche Nutzung von IR (Infrarot)- und LIDAR-Daten. Lidar (Abkürzung für Light Detection and Ranging), ist dabei eine dem Radar verwandte Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, die hilft, Ungenauigkeiten durch Beschattungen o.ä. zu minimieren.

Mittels Design Thinking kreierte das Team bestehend aus IBM und LGLN eine maßgeschneiderte Architektur und graphische Benutzeroberfläche (UI, User Interface), die mit Feedback von Experten verschiedener Kataster-Regionaldirektionen in Niedersachsen iterativ verbessert wurde. Für dieses Projekt hat das IBM-Team den IBM Outstanding Technical Achievement Award 2020 (OTAA) gewonnen. Dieser globale Preis ist eine Anerkennung für IBMer für bahnbrechende technologische Arbeiten, die eine große Wirkung über das Projekt hinaus haben. Der OTAA ist einer der prestigeträchtigsten Preise innerhalb der IBM.

Preisgekrönte KI-Lösung auch für weitere Zwecke interessant

Der Ansatz kann bei weiteren Kunden für ähnliche Anwendungsfälle eingesetzt werden, insbesondere:

  • Der vorgestellte Ansatz der Gebäudeerkennung in Luftbildern und des Abgleichs mit den entsprechenden Katasterkarten kann in den Katasterämtern anderer Bundesländer oder Staaten genutzt werden.
  • Eine Erkennung von Bombenkratern auf Luftbildern des zweiten Weltkriegs kann zur Identifikation von Blindgängern verwendet werden.

Darüber hinaus sind ähnliche, aber technisch teilweise anders zu realisierende Lösungen in folgender Form möglich:

  • Bei Versorgungsunternehmen (Energie, Wasser, Telekommunikation, etc.), die ebenfalls auf genaue Karten angewiesen sind, kann ein entsprechender Abgleich mit Luftbildern analog durchgeführt werden, solange die relevanten Objekte auf den Luftbildern klar erkenntlich sind.
  • Bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (THW, Feuerwehr, Polizei, etc.) kann der grundsätzliche Ansatz ebenfalls genutzt werden, muss jedoch auf die spezifischen Anforderungen dieser Organisationen (z.B. lokale Implementation, Identifikation anderer Objekte auf Basis anderer Trainingsdaten, etc.) adaptiert werden.
  • Eine noch stärker modifizierte Version des vorgestellten Ansatzes kann auf viele weitere Probleme der massenhaften Bildverarbeitung angewendet werden. Es könnten z.B. Bild- oder Mediendatenbanken automatisch verschlagwortet werden oder Verkehrsbilder massenhaft analysiert werden.

Insofern erlaubt dieser Ansatz neue Möglichkeiten der Massenverarbeitung von Luftbildern und sonstigen Bildern und wartet auf andere Anwendungsszenarien und Kunden.