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Vertrieb der Zukunft in einer anderen und neuen Hybrid-Welt
By | Technology Managing Director, Deutsche Telekom, DACH and Branch Executive IBM Koeln
September 27, 2022

Wie lässt sich Zusammenarbeit effektiv in einer Zeit gestalten, in der aufgrund multipler Krisen auch weiterhin mit Störungen von Lieferketten und Reisetätigkeit oder Kontaktbeschränkungen...

Wie lässt sich Zusammenarbeit effektiv in einer Zeit gestalten, in der aufgrund multipler Krisen auch weiterhin mit Störungen von Lieferketten und Reisetätigkeit oder Kontaktbeschränkungen gerechnet werden muss? Diese Frage brennt Vertriebsteams auf der ganzen Welt unter den Nägeln seit Corona massive Einschränkungen und Veränderungen gebracht hat. Die Ansätze und Skills, die sich dabei entwickelt und bewährt haben, werden auch in der hybriden Welt weiter Bestand haben. Damit hat die Krise auch in der Vertriebswelt eine längst fällige Veränderung hin zu mehr Flexibilität und Diversität beschleunigt, die schon im alten Normal begonnen hatte. Der Vertrieb der Zukunft passt sich an die neuen Gegebenheiten an und entwickelt sich weiter.In Stefan Zweigs Autobiographie Die Welt von gestern findet sich der Satz: „Nur wer sorglos in die Zukunft blicken konnte, genoss mit gutem Gefühl die Gegenwart.“ Das trifft auch auf die Situation des Vertriebs vor COVID-19 zu: Die „sorglosen“ Absolvent_innen der alten Vertriebsschule setzten die selbstbewussten Vertreterfüße in die Türen und machten ihr Geschäft unter Einsatz bewährter Tugenden, sprich Skills wie Hartnäckigkeit, Produktanpreisung, Ergebnisorientierung und schulterklopfender Vitamin B-Einsatz. Lange Zeit waren sie damit erfolgreich und sind es in Teilen noch immer.

Die Welt von gestern ist von gestern

Nur hatte sich schon damals, vor der pandemischen Krise, abgezeichnet, dass diese Welt eben das ist: eine von gestern. Die Bedürfnisse und Interaktionserwartungen der Kund_innen haben sich seither grundlegend gewandelt. Entscheider_innen informieren sich selbständig und umfassend aus verschiedenen Quellen, tauschen sich in Netzwerken aus und treten den Firmenvertreter_innen auf fachlicher Augenhöhe gegenüber. Dementsprechend sind sie heute viel mehr darauf aus, sich fachlich auszutauschen, über Lösungen mit greifbarem und schnellem Return on Investment zu sprechen, gemeinsam etwas zu entwickeln, das sie in ihrem Geschäft voranbringt, statt Small Talk im Ledersessel zu betreiben.

Aus der Vor-COVID-19-Zeit gibt es eine Studie, die einen neuen Gesichtspunkt dieser Veränderungen in der Vertriebslandschaft beleuchtet: Incentive-Anbieter Xantry hat darin untersucht, wie es um die Gender-Gerechtigkeit im B2B-Vertrieb bestellt ist. Mit wenig überraschendem Ergebnis: Obwohl mehr als die Hälfte der Akademiker_innen in den USA Frauen sind, liegt der Frauenanteil im B2B-Vertrieb bei weniger als einem Drittel. Noch interessanter sind einige andere Resultate: Vertriebsmitarbeiterinnen schneiden laut der Untersuchung von 2019 oft besser ab als Männer. 86 Prozent der Frauen erreichen ihre Quote, bei Männern sind es nur 78 Prozent.

Was machen die erfolgreichen Frauen im B2B-Vertrieb anders als die erfolgreichen Männer? Auch dazu gibt es Zahlen – und diese fügen sich in die veränderte Landschaft: Eine Untersuchung der ZS Associates zeigt, dass die erfolgreichsten unter den Frauen vor allem drei Skills häufiger einsetzen als die männlichen High-Performer: Sie sind vernetzt (d.h. sie pflegen und nutzen weitläufige Beziehungen im Ökosystem), sie sind lösungsorientiert, und sie arbeiten teamorientiert mit den Kunden zusammen. Bei den Männern dominierte hingegen eher ergebnisorientiertes und selbstoptimiertes Arbeiten.

Diese Erkenntnisse bestätigen die subjektive Erfahrung aus der Vor-COVID-19-Zeit: Mehr denn je wollen Kund_innen nicht überredet, sondern eingehend beraten werden, um eine informierte Entscheidung zu treffen. Alte Erfolgsmuster im Vertrieb verlieren ihre Wirksamkeit. Neue Wege und Arbeitsweisen versprechen mehr zukünftigen Erfolg. Es geht heute weniger darum, Produkte nach dem Hit and Run-Prinzip „reinzuverkaufen“ und danach zum nächsten Kunden zu gehen, um Quoten zu erfüllen oder sogar zu übertreffen, sondern sich in die Kund_innen noch besser hineinzudenken und gemeinsam partnerschaftlich langfristige Lösungen zu gestalten.

Die Pandemie treibt die Welt aus dem Gestern raus

Der Vertrieb ist naturgemäß ein kontaktintensives Metier. Vor allem im B2B-Bereich herrscht im Prinzip permanenter Gesprächsbedarf zwischen Entscheider_innen, Anwender_innen, Account-Betreuer_innen und – immer häufiger – einer neuen Art interner Influencer_innen. Im Technologiesektor beispielsweise bringen neue Technologien wie die hybride Cloud und AI bahnbrechende Möglichkeiten hervor. Nur ist der Weg dorthin oft komplex und erfordert permanente Übersetzung von High-Tech-Innovationen in konkrete, branchenspezifische Geschäftsbedürfnisse. Dieser Austausch lebt(e) viel von Face-to-Face, von Messen und anderen Events, von Meetings und Workshops. Geschäft geschah immer dann, wenn Menschen zusammenkamen.

Dem setzten Lockdowns und Kontaktbeschränkungen vorläufig ein abruptes Ende. Die vertriebstechnisch katastrophalen Folgen sind bekannt: Von heute auf morgen waren die bewährten Brücken zwischen Kund_innen und Vertriebsprofis gekappt. Das Knüpfen neuer Kontakte war radikal eingeschränkt, ebenso die Möglichkeiten, Neuheiten „anfassbar“ zu präsentieren oder gemeinsam an Prototypen zu arbeiten. Der Schock war zunächst groß, doch sind Vertriebsprofis erfinderisch, wenn es um Kontakte geht. Fieberhaft schnell wurden virtuelle Wege erkundet, kartiert und emsig beschritten: Präsentationen, interaktive Workshops, ja ganze Events wurden digital organisiert, ungeahnt private Home-Office-Einblicke via Bildschirmkommunikation wurden in kürzester Zeit Standard. Eine Studie von Mercuri International in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum zeigt, dass das gut funktioniert hat: 89 Prozent der Unternehmen waren 2020 vertrieblich vom COVID-19-Shutdown betroffen. Trotzdem konnten sie zu 97 Prozent ihre Vertriebsziele erreichen.

Während des Shutdowns ließ sich schnell feststellen, dass der virtuelle Vertrieb andere Anforderungen an das Team stellt. Nicht alle Best Practices aus der Welt von gestern erwiesen sich als übertragbar: Die Slots für die virtuelle Interaktion sind wesentlich kürzer, deren Frequenz mitunter atemlos hoch, Zeit und Möglichkeiten für informellen Verschnauf- und Austauschpausen danach nicht gegeben. Hinzu kommt, dass der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kund_innen sehr viel härter geworden ist. Wer in das enge Online-Zeitfenster lediglich einen Produkt-Pitch pressen will, läuft Gefahr, aus dem Fokus der Kund_innen im wahrsten Sinne des Wortes hinausgezoomt zu werden.

Andere Interaktions-Modi erwiesen sich im Virtuellen als zielführender: noch mehr in die Kund_innen hineinversetzen, deren Bedürfnisse auch durch den Bildschirm hindurch noch besser entschlüsseln, noch genauer übersetzen, welches spezifische Branchenproblem man lösen kann, Mehrwerte aus dem eigenen Netzwerk ins Spiel bringen, bald in den Modus der Zusammenarbeit und gemeinsamen Gestaltung gelangen, schnell zum entscheidenden Punkt kommen. Im weitesten Sinne also noch mehr hiervon: minutiös vorbereitet sein, empathisch arbeiten, lösungsorientiert arbeiten, zusammenarbeiten.

Die Welt von morgen hat schon begonnen

Auch wenn sich die Welt langsam wieder in Richtung eines „neuen Normals“ bewegt, werden die Erfahrungen der zurückliegenden Monate nicht einfach ad acta gelegt werden. Face-to-Face-Treffen finden längst wieder statt und sind häufig gut besucht – schließlich wurden sie lange entbehrt, und die Sehnsucht nach persönlichem Austausch ist groß. Auf der anderen Seite haben wir alle gelernt, wie effizient und erfolgreich wir auch durch die digitale Kommunikation sein können. Wir haben erfahren, dass der Vertrieb der Zukunft auch im virtuellen Raum sehr gut funktioniert und wir uns damit gegenseitig viel Zeit – und nicht nur Reisezeit – sparen können. Letzteres entlastet nicht nur den Menschen, sondern auch die Umwelt. Wir steuern im Vertrieb daher auf ein Hybrid-Modell zu, mit wichtigen, jedoch sparsam dosierten Treffen in der physischen Welt und vermehrtem Austausch online.

Auch die erwähnte Mercuri International Studie geht davon aus, dass in der hybriden Vertriebswelt die Lektionen des Shutdowns zu einem Produktivitätsgewinn führen werden: Vor-Ort-Besuche werden weniger, Online-Kundenbesuche vermehrt stattfinden. Dadurch werden Kapazitäten frei, die zum Beispiel für eine intensivere Marktbearbeitung genutzt werden können. Weitere Vorteile: Auch der Innendienst lässt sich durch Online-Besuche aktiver in die Kundenbetreuung einbeziehen, Kund_innen unterschiedlicher Größenordnung könnten so zukünftig homogener und persönlicher betreut werden.

Die Skills, die schon in der Vertriebswelt von gestern ihr Zukunftspotenzial aufblitzen ließen und im Shutdown an Relevanz zunahmen, werden in der hybriden Welt dominieren. Vertriebsorientierte Unternehmen sollten also jetzt dafür sorgen, diese Skills in ihrer Vertriebsorganisation aufzubauen und weiterzuentwickeln. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung besteht darin, den wunderbaren Wirkungsbereich Vertrieb für Diversität attraktiver zu machen, sich im Recruiting dezidiert an der Schaffung von diversen Teams zu orientieren, sowie Frauen in Zukunft auch im Vertrieb mehr Führungsverantwortung zu geben.

Unternehmen, die die Zukunft im Blick haben, tun das bereits. Und sie tun es nicht nur im Sinne der Gendergerechtigkeit. Sie tun es, weil die Fähigkeiten von diversen Teams für den zukünftigen Erfolg in der Welt von heute und morgen unverzichtbar sein werden.

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