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Gendersensible Sprache – warum (uns) das wichtig ist
By | Lead Scrum Master, IBM iX Berlin
October 08, 2020

Auf dem Thema der gendersensiblen Sprache liegt in der letzten Zeit viel Aufmerksamkeit, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei uns intern. Es gibt viele unterschiedliche Haltungen, Meinungen,...

Auf dem Thema der gendersensiblen Sprache liegt in der letzten Zeit viel Aufmerksamkeit, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei uns intern. Es gibt viele unterschiedliche Haltungen, Meinungen, Empfehlungen und mindestens ebenso viele Unsicherheiten. Meint eine Person nicht ohnehin alle Geschlechter, wenn sie zum Beispiel „Mitarbeiter“ schreibt und es kontextuell ja irgendwie klar ist, dass alle gemeint sind? Sind gendersensible Formulierungen nicht sehr sperrig im Gebrauch? Wie soll ich das Ganze eigentlich während des Sprechens handhaben? Und verscherze ich es mir damit nicht mit bestimmten Personengruppen?

Eine Diskussion, die an Bedeutung gewinnt

Die Schriftstellerin Nele Pollatschek veröffentlichte kürzlich im Berliner Tagesspiegel den Artikel: „Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer“, der den Diskurs erneut anregte. Ihr Argument: Eine gegenderte Form wie „Schriftstellerin“ sei ungerecht gegenüber Frauen, weil dadurch die Kategorie „Geschlecht“ gerade dort permanent hervorgehoben würde, wo sie keine gesellschaftliche Rolle mehr spielen sollte. Außerdem kommt sie zu dem Schluss, dass die Standardvorstellung der meisten Berufe „nicht nur die eines Mannes, sondern die eines weißen, christlichen, heterosexuellen Mannes“ sei – und wenn man eine spezielle Wortform für die weibliche Variante wolle, müsse man das beispielsweise auch für die schwarze, jüdische oder homosexuelle Variante fordern. Ein Wort wie „Schwarzgast“ fühle sich aber offensichtlich falsch an.

Die Argumente seien laut Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch legitim – greifen aber zu kurz, da es um kulturelle Stereotypen und nicht um Wortbedeutungen ginge, wie er einige Tage später hier detailliert ausführt.

Es ist gar nicht so einfach mit der gendersensiblen Sprache. Und doch ist – wie so oft im Leben – eines wichtig: Haltung zeigen.

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Warum uns eine gendersensible Kommunikation wichtig ist

Sprache schafft Wirklichkeiten. Wer benannt wird, existiert, und wird ins Bewusstsein gerückt. Bei der Verwendung einer gendersensiblen Sprache wird darauf geachtet, alle Geschlechter und Identitäten adäquat zu repräsentieren und wertschätzend anzusprechen. Mit unserem Leitfaden wollen wir Haltung zeigen und eine offene Unternehmenskultur schaffen. Er steht allen Mitarbeitenden von IBM seit August 2020 zur Verfügung und soll eine Orientierung und gleichzeitig praktische Tipps geben, wie die Anwendung von gendersensibler Sprache einfach zu handhaben ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Arbeit von uns allen in einem gleichgestellten und gleichberechtigten Umfeld wertzuschätzen. Weil Sprache unsere Vorstellungen, unser Denken und unser Verhalten – teilweise unbewusst – beeinflusst, können wir nur mit einer sensiblen Sprache eine diskriminierungsfreie Umwelt sowie Diversität innerhalb und außerhalb der IBM erreichen.

Wir möchten dahin kommen, dass wir in der Kommunikation alle Geschlechter/Gender mitdenken, nicht nur mitmeinen. Wir wollen uns aktiv dafür einsetzen, dass alle Menschen im Arbeitsleben sichtbar werden und die gleichen Chancen haben. Wir freuen uns, wenn sich durch unser Engagement für Chancengleichheit und unsere Wertschätzung von Vielfalt neue Bewerber_innen und Kund_innen für uns entscheiden. Und nicht zuletzt ist es uns natürlich ein Anliegen, unser Business fortschrittlich zu gestalten, indem wir zum Beispiel Applikationen mit inklusiven Sprachdaten anreichern und trainieren.

Der Leitfaden zur gendersensiblen Sprache, entstanden aus einer Initiative unserer Mitarbeitenden von Aperto und IBM, soll dabei helfen, die tägliche Unternehmenskommunikation und unser Business offener und inklusiv zu gestalten. Er zeigt auf, wieso gendersensible Sprache wichtig ist und wie sie am besten umgesetzt werden kann. In einem umfassenden Glossar werden Begriffe aufgelistet, die uns oft im Arbeitsalltag begegnen und mögliche Alternativen und Formulierungshilfen vorgestellt. Der Leitfaden sorgt so für mehr Sicherheit im Umgang mit inklusiver Kommunikation. Denn seit jeher ist Diversität und Inklusion ein sehr wichtiges Anliegen von IBM, tief verankert in den Business Conduct Guidelines. Um einen Eindruck des Inhalts zu geben, stellen wir hier einige unserer übergreifenden Praxis-Tipps vor:

Praxis-Tipps für gendersensible Sprache

Umschreiben, vermeiden, verändern: Wie können wir die Anwendung gendersensibler Sprache konkret umsetzen? Dazu wird allgemein zwischen zwei Vorgehensweisen unterschieden: dem „Sichtbarmachen“ von Geschlechtern und dem „Neutralisieren“ dieser.

Sichtbare Genderinklusion durch zwei Möglichkeiten

Splitting

Bei dieser Form des Sichtbarmachens der Geschlechter wird sprachlich deutlich gemacht, ob Männer oder Frauen gemeint sind („Alle Mitarbeiter gehen nach links, alle Mitarbeiterinnen gehen nach rechts.“).

Unterstrich

Bei dieser Form des Sichtbarmachens der Geschlechter sind alle Geschlechter inbegriffen („alle Mitarbeiter_innen“). Wir haben uns in diesem Leitfaden bewusst für den Unterstrich statt z.B. des * (Asterisk) entschieden, da ein Screenreader für Menschen mit Seheinschränkungen nur den Unterstrich korrekt vorlesen lassen.

Neutralisieren der Geschlechtsprägung

Substantivierung

Oft lässt sich statt einer gegenderten Form ein Substantiv bilden, ohne sich inhaltlich zu verlieren. Das Substantiv kann aus dem gleichen Verbstamm abgeleitet sein (z.B. „Leiter/Leiter_in“ → „Leitung“) oder als substantiviertes Partizip eingesetzt werden (z.B. „Zuschauer/Zuschauer_in“ → „Zuschauende“).

Umschreibung

Wenn das nicht klappt, lässt sich die geschlechtsgeprägte Formulierung in der Regel durch einen Gruppenbegriff (z.B. über „Mensch/Menschen, der/die“ oder „Person/Personen/Personal“) zusammen mit einem bestimmenden Adjektiv, das diejenige Gruppe von anderen unterscheidet und sich ggf. aus dem gleichen Verb ableitet, ersetzen (z.B. „Auftraggeber“ → „auftraggebende Person“).

Personalisierung

Statt dem unbestimmten „man“, kann es eine Lösung sein, direkter zu formulieren. Dabei könnt ihr entweder von euch/eurer Organisation selbst sprechen, mit „ich“ bzw. „wir“, oder das Gegenüber direkt ansprechen „Sie“ bzw. „du“ oder „euch“.

„Superwörter“

Bestimmte inklusive Begriffe wie „-kraft“, „-schaft“, „-mitglied“ etc. lassen sich ggf. an das gewählte Substantiv anfügen und führen so insgesamt zu einem nichtsexistischen Ausdruck, der alle einschließt. Auch folgende Begriffe können auf diese Art genutzt werden: Arbeit/-arbeit, Gemeinschaft, Gruppe/-gruppe, Kreis/-kreis, Konkurrenz/-konkurrenz, Leute/-leute, Leitung/-leitung, Netzwerk/-netzwerk, Organisation/-organisation, Paar/-paar, Person/-person, Publikum/-publikum, Stelle/-stelle, Tandem/-tandem

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Ausprobieren, was individuell stimmig ist!

Die sensible Sprache umfasst mindestens genauso viele Dimensionen wie Unterschiede zwischen uns Menschen. Sensible Sprache kann sich daher auf alle Diversity-Dimensionen, z.B. Geschlecht/Gender, Alter, Menschen mit besonderen Fähigkeiten, sexuelle Identität und Orientierung, Herkunft oder Religionszugehörigkeit beziehen. Der Leitfaden für gendersensible Sprache ist für uns ein erster Schritt in der Berücksichtigung all dieser Dimensionen sowie eine Empfehlung an unsere Mitarbeitenden. Nach und nach werden wir unsere Unternehmenskommunikation sowohl extern als auch intern daran ausrichten.

Wichtig ist, anzufangen.  Denn wer einfach einmal ausprobiert, bewusst gendersensibel zu schreiben und zu sprechen, nutzt diesen Sprachgebrauch nach gewisser Zeit ganz intuitiv. Je öfter wir gendersensibel formulierte Texte lesen und „Gendersprech“ hören, desto normaler klingen die Sätze und desto weniger empfinden wir die Ausdrücke als störend. Lasst uns diesen Schritt gemeinsam gehen – „einfach mal machen“ – und uns austauschen, welche Erfahrungen wir damit gesammelt haben! Es kam bisher wirklich interessantes Feedback zurück. Ein Auszug:

Danke für die Denkanstöße, ich bin überzeugt, dass es wichtig ist darauf zu achten und schrittweise besser zu werden. Ich denke, es ist eine Gradwanderung nicht in eine politische Überkorrektheit zu steuern, denn Spaß machen darf das Leben auch mit ein paar versehentlichen Fehlern_innen ? Also weiter so aber bitte nicht zu dogmatisch… Danke!

Vielen Dank für diesen anregenden und umfassenden Leitfaden. Ich habe bisher das generische Maskulinum in vielen Bezeichnungen auch als Standard/Norm akzeptiert und benutzt, mich als Frau dadurch auch in keiner Weise ungleich behandelt gefühlt und manche Formulierungen/Initiativen oft eher als überzogen empfunden. Eure Ausführungen haben mich jetzt aber dazu angeregt, neu über meine Sprachnutzung nachzudenken und ich werde sicher Neues ausprobieren.

Danke an alle für diesen Leitfaden. Eine Frage: Wie wird denn heute gendergerecht die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ verwendet? Zwar ist dies eine wirklich alte und konservative Anrede, dennoch ist sie nach wie vor gebräuchlich. Danke für einen Hinweis diesbezüglich.

Allen, die eine Antwort auf diese Frage suchen, empfehlen wir diesen Link.

Der Leitfaden ist eine Sammlung von Empfehlungen – er lebt von Erfahrungen, Feedback und stetigem Prüfen. Wir freuen uns deshalb stets über weiteres Feedback: ibm_inklusiv@aperto.com

Der IBM Leitfaden für gendersensible Sprache wurde initiiert und inhaltlich umgesetzt durch: Alina Gierspeck, Emily Scholle, Isabelle Ette, Katrin Lohse, Kerstin Reimer, Na-Young Lee, Ngoc Linh Ha und Ralf Junge. Das Layout stammt von Christin Glücks.

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