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Automobilindustrie 2035: Wie Software die Zukunft des Fahrzeugs neu definiert
Die Automobilindustrie transformiert sich: Entdecken Sie, wie Software-Defined Vehicles und digitale Geschäftsmodelle die Zukunft der Branche gestalten.
Die Automobilindustrie steht vor der wohl größten Umwälzung ihrer Geschichte. Nicht nur das Produkt Auto selbst verändert sich grundlegend – von einem mechanischen Fahrzeug mit definierten Baugruppen hin zu einer softwaregesteuerten Plattform. Auch das Geschäftsmodell vieler Hersteller muss neu erfunden werden: Weg vom klassischen Verkauf eines Fahrzeugs hin zu wiederkehrenden digitalen Erlösquellen.
Eine aktuelle Studie des IBM Institute for Business Value, für die über 1.200 Führungskräfte der Automobilbranche weltweit befragt wurden, zeichnet ein spannendes, aber auch widersprüchliches Bild. Während die Industrie den Weg in die softwaredefinierte Zukunft als unumgänglich ansieht, bleibt die Umsetzung in vielen Bereichen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Auch in Deutschland, dem Land vieler Premiumhersteller, zeigen sich sowohl große Chancen als auch einige Herausforderungen.
Das Software-Defined Vehicle: Bereit für die Revolution?
Eines der zentralen Themen der Transformation ist das Konzept des Software-Defined Vehicles (SDV). Bisher war das Auto in vertikale Baugruppen unterteilt – einzelne Komponenten wie Bremsen, Lenkung oder Infotainment funktionierten weitgehend unabhängig voneinander. Diese Architektur ist über Jahrzehnte gewachsen, aber in der neuen digitalen Welt zunehmend hinderlich.
Die Vision für 2035 sieht anders aus: Basierend auf einem zentralen Betriebssystem steuert eine durchgängige Software-Ebene nahezu alle Funktionen des Fahrzeugs. So können flexibel Funktionen hinzugefügt beziehungsweise freigeschaltet und später über Over-the-Air (OTA) Updates aktuell gehalten werden – ein Modell, das sich vom Prinzip her an der Smartphone-Architektur orientiert. Diese Trennung von Hardware und Software ist jedoch mit erheblichen technischen Herausforderungen verbunden.
Laut der Studie bewerten 79% der befragten Führungskräfte die technische Komplexität dieser Trennung als große Hürde. Überraschend ist, dass nur 47% sie als signifikante Herausforderung einschätzen – ein möglicher Hinweis darauf, dass die Tragweite dieser Umstellung immer noch unterschätzt wird. Tatsächlich müssen Unternehmen, die bislang in erster Linie mechanische Komponenten entwickelt haben, nun auch die Tücken der Software-Entwicklung und -Integration meistern. Ein Übergang, der schließlich auch weitreichende organisatorische Veränderungen erfordert.

C3 What are the major SDV or software-defined product challenges for your organization? For each option, please rate on a scale of 1-3, where 1=No challenge, 2=Moderate challenge, 3=Significant challenge.
Neue Geschäftsmodelle: Bleibt das Abo-Auto vorerst eher ein Traum?
Neben der technologischen Transformation wird auch das Geschäftsmodell der Automobilhersteller auf den Prüfstand gestellt. Jahrzehntelang dominierten klassische Kauf- und Leasingmodelle, doch die Digitalisierung eröffnet auch in diesem Bereich neue Möglichkeiten: Abo-Modelle und softwarebasierte Zusatzfunktionen sollen den Umsatz der Zukunft sichern.
Laut der Studie erwarten Unternehmen, dass bis 2035 rund 51% ihres Umsatzes aus digitalen und softwarebasierten Dienstleistungen stammen – ein starker Anstieg gegenüber den 15%, die heute aus diesen Quellen generiert werden. Besonders begehrt sind dabei laut den Befragten Funktionen wie autonomes Fahren, Premium-Infotainment oder personalisierte Services.
Doch während die Zahlen auf dem Papier überzeugend wirken, zeigt sich in der Realität ein anderes Bild. Abo-Modelle haben sich kaum durchgesetzt. Viele Hersteller haben experimentiert, aber keine durchschlagenden Erfolge erzielt. Die Kundenakzeptanz bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, insbesondere in Märkten wie Deutschland, wo Leasing- und Kaufmodelle stark etabliert sind.
Zudem zeigt sich ein gewisses Wunschdenken der Industrie: Laut Studie wären Kunden bereit, monatlich bis zu 269 US-Dollar für autonome Fahrfunktionen und 60 US-Dollar für personalisierte Services zu zahlen. Doch ob Verbraucher in der Praxis tatsächlich bereit sind, für Funktionen, die bislang im Fahrzeugpreis enthalten waren, zusätzlich beziehungsweise monatlich zu zahlen, bleibt ungewiss.

B2.5: Estimation of consumers spend on this digital experience in 2035 (in 2025 dollars)
Die deutschen Hersteller: Technologische Vorreiter mit strukturellen Herausforderungen
Deutschland spielt in dieser Transformation eine besondere Rolle. Die Premiumhersteller setzen nicht nur auf elektrische Antriebe, sondern treiben auch die Software-Transformation maßgeblich voran. Einige deutsche OEMs werden von Experten sogar als führend in der Verzahnung von Hardware- und Software-Entwicklung gesehen.
Die Hersteller setzen laut den Befragten stark auf zwei Strategien:
- Personalisierung des Fahrerlebnisses: Fahrzeuge sollen sich individuell auf die Bedürfnisse der Fahrer einstellen – von Sound- und Lichtsteuerung bis hin zu KI-basierten Vorschlägen für Routen oder Entertainment.
- Integration in das digitale Leben: Das Fahrzeug soll sich nahtlos in andere digitale Ökosysteme einfügen, etwa durch intelligente Vernetzung mit Smart-Home-Systemen oder personalisierten Cloud-Diensten.
Diese Strategie birgt jedoch Risiken. Zum einen erfordert sie erhebliche Investitionen in Software-Kompetenzen, die viele Unternehmen noch nicht aufgebaut haben. Zum anderen bleibt die Akzeptanz der Kunden abzuwarten – schließlich könnten Datenschutzbedenken einer allzu tiefen Integration im Weg stehen.
Eine weitere Herausforderung für die deutschen Hersteller ist die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage. Die überraschende Abschaffung der staatlichen E-Auto-Subventionen hat viele Unternehmen unvorbereitet getroffen. Manche OEMs müssen sogar geplante Hochlaufkurven für Elektrofahrzeuge korrigieren und Werke umstrukturieren.
Lücke zwischen Anspruch und verfügbaren Talenten
Ein besonders bemerkenswerter Widerspruch der Studie zeigt sich in der Einschätzung der Unternehmen zu ihrem eigenen Fortschritt. 69% der befragten Führungskräfte glauben, dass ihre Transformation zum Software-Defined Vehicle auf dem richtigen Weg ist. Gleichzeitig erwarten sie jedoch, dass sie erst 2034 über die notwendigen Talente und Skills verfügen, um ihre ambitionierten Ziele zu erreichen.
Dieser Widerspruch verdeutlicht ein Grundproblem der Industrie: Die Zeiträume für Transformationen sind oft sehr lang. Während in der IT-Branche Technologien innerhalb weniger Jahre disruptive Veränderungen bewirken, dominieren in der Automobilindustrie längere Entwicklungszeiträume. Dies könnte sich als kritischer Nachteil erweisen, insbesondere im Wettbewerb mit schnell agierenden neuen Unternehmen aus den USA und China.
Technologieunternehmen als Enabler der Transformation
Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen viele Automobilhersteller auf Partnerschaften mit Technologieunternehmen. IBM beispielsweise unterstützt die Branche in mehreren Bereichen:
Software-Methoden: IBM beliefert die Automotive-Industrie mit den notwendigen Entwicklungs-Tools und -Methoden für den Schwenk zum Software-Defined Vehicle.
Software-Architekturen: Moderne Cloud-Plattformen und KI-gestützte Analysen helfen, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen.
Automatisierung: Durch Künstliche Intelligenz und automatisierte Prozesse lassen sich Entwicklungszyklen verkürzen und Kosten senken.
Cybersecurity: Mit zunehmender Vernetzung wächst die Gefahr von Hackerangriffen – ein Bereich, in dem externe Technologiepartner wertvolle Unterstützung leisten können.
Besonders der Einsatz generativer KI bietet großes Potenzial. Laut Studie könnte die Produktivität in der Softwareentwicklung durch KI-gestützte Tools um fast 40 % gesteigert werden.
Fazit: Zwischen Vision und Realität
Die Automobilindustrie steht an einem Scheideweg. Die Notwendigkeit zur Transformation ist unbestritten, doch der Weg dorthin bleibt herausfordernd. Während die technologischen Grundlagen für Software-Defined Vehicles bereits existieren, fehlt es oft noch an klaren Geschäftsmodellen und der zügigen Umsetzung.
Die deutsche Automobilindustrie hat das Potenzial, eine führende Rolle einzunehmen, insbesondere durch ihre Expertise in Premium- und Hightech-Fahrzeugen. Doch bleiben Tempo und Fokus entscheidend für einen Erfolg.